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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #65 - 14.11.2025

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: lebensverändernde Diagnosen

Axel Enninger: Mein Gast heute ist

Dr. Christoph Schick

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gesprächspartner heute ist mein langjähriger kinder-gastroenterologischer Freund und Kollege Christoph Schick. Christoph, herzlich willkommen!

Christoph Schick: Hallo Axel!

Axel Enninger: Herr Dr. Schick ist Kinder-Gastroenterologe. Er ist leitender Oberarzt und Sektionsleiter der Kinder-Gastroenterologie am Josefinum in Augsburg. Und deswegen ist er der ideale Kandidat, um mit ihm über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen zu sprechen. Das Thema haben wir ausgewählt, wohl wissend, dass die meisten von Ihnen gar nicht unmittelbar in die Therapie von Patienten mit diesen Erkrankungen involviert sind, aber Sie sehen viele von diesen Patienten in Ihrer Sprechstunde oder Sie sehen viele potenzielle Patienten mit dieser Erkrankung in Ihrer Sprechstunde. Lass uns doch mal so starten, Christoph: Die meisten unserer Zuhörerinnen und Zuhörer sehen ja Patienten mit Bauchschmerzen, entweder akuten oder chronischen Bauchschmerzen. Und bei den chronischen Bauchschmerzen haben ja die allermeisten tatsächlich funktionelle Bauchschmerzen. Wann muss es denn „Klick“ machen und man muss sagen: ‚Ups, das könnte doch etwas anderes sein‘?

Könnte es etwas anderes als funktionelle Bauchschmerzen sein?

Christoph Schick: Also du hast ja schon gesagt, dass es natürlich viel häufigere Ursachen gibt, aber das Entscheidende ist, denke ich, immer eine gute Anamneseerhebung, weil wir in der Anamnese schon ganz viele Alarmsymptome abfragen können. Wir nennen sie ja ganz gerne Red Flags, die uns Hinweise geben können, ob vielleicht doch eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung vorliegen könnte.

Axel Enninger: Sag doch mal, was sind denn die Red Flags? Wo würdest du denn sagen: ‚Achtung, Achtung, hellhörig werden‘?

Christoph Schick: Ich meine, das Auffälligste und Naheliegendste ist, wenn Blut im Stuhl ist. Aber es gibt auch Red Flags, die nicht so direkt ins Auge springen. Im Kindes- und Jugendalter ist es eben vor allem alles, was Wachstum, Entwicklung, Pubertätsentwicklung betrifft. Wenn das gestört ist, ist das auch natürlich ein ganz wichtiger Hinweis. Eine ganz wichtige Frage finde ich auch immer, wenn Kinder Durchfall haben mit ihren Bauchschmerzen. Durchfall alleine, chronischer, ist schon auch ein Warnzeichen, vor allen Dingen, wenn sie nachts Bauchschmerzen oder Durchfälle haben, kann das ein wichtiger Hinweis sein. Und dann gibt es vielleicht auch noch so Dinge wie: Wo tut denn der Bauch weh? Und alles, was so rund um die Mitte oder vielleicht eher links ist, ist meistens harmloser als das, was sich rechts abspielt, wobei das sicher keine Regel ist, die eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung ausschließt oder einschließt. Aber das sind so die Dinge, auf die man achten muss.

Axel Enninger: Da würde ich vielleicht noch ergänzen: Unklare Fieberschübe, wo man nicht so genau weiß, wo es herkommt, und weil wir eine relativ große Rheumatologie haben, auch Gelenkschwellungen, Gelenkentzündungen. Manchmal ist es so, dass die Arthritis eben doch dem Crohn vorausgeht. Also auch das, finde ich, sollte man immer fragen. Und die, die keine Red Flags haben, kriegen keine Diagnostik oder was machen wir mit denen?

Christoph Schick: Doch, klar brauchen sie Diagnostik. Das Gemeine ist vielleicht so ein bisschen, dass auch bei fehlenden Red Flags natürlich trotzdem eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung vorliegen kann, und deswegen braucht eigentlich jedes Kind mit chronischen Bauchschmerzen oder auch chronischen Diarrhöen einmal eine Basisdiagnostik. Es gibt eine gute Leitlinie, in der auch ein Kinderteil enthalten ist zum Thema Reizdarm, wo man das gut nachlesen kann. Natürlich muss man neben einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung schon auch immer andere Dinge ausschließen, wie eine Zöliakie. Aber insbesondere, wenn man wissen will, geht es in Richtung chronisch-entzündliche Darmerkrankung, braucht man einmal Blutwerte, Entzündungswerte zum Beispiel, und auf jeden Fall Stuhlwerte. Man kann Entzündungswerte ja auch sehr gut im Stuhl messen.

Axel Enninger: Okay, Stichwort Calprotectin, dazu kommen wir gleich noch ein bisschen. Also Labordiagnostik, eigentlich simpel: einmal ein Blutbild, einmal Entzündungszeichen, Leberwerte, Nierenwerte, Gesamt-IgA, Gewebstransglutaminase-Antikörper, ein Urinstatus ist mal kein Fehler und dann wollen wir Calprotectin. Darüber reden wir gleich, was uns das sagt oder auch vielleicht nicht sagt. Wenn wir über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen reden, haben wir ja alle im Kopf, da gibt es zwei davon, und beide sind supertypisch und beide haben typische Klinik und typische Endoskopie und typische Histologie. Haben wir alle immer in unseren Kreuzel-Tests angekreuzt. Stimmt das so?

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, CED-u und die typischen Zeichen

Christoph Schick: Jein. Es stimmt zum Teil, es ist tatsächlich schon so, dass es natürlich Krankheitsentitäten gibt, die man ganz gut den beiden klassischen Formen zuordnen kann, so wie den Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa. Aber es gibt eben auch Übergänge zwischen den beiden Erkrankungen und ziemlich sicher ist es ja so, dass wir es hier mit einer Erkrankung zu tun haben, die nicht eine ist, sondern ein „Sammeltopf“ für ganz viele verschiedene sich ähnlich zeigende Erkrankungen. Deswegen spricht man auch noch von der „nicht-klassifizierbaren Colitis“. Letztlich betrifft es nur die Colitis, weil alles, was sich „weiter oben“ abspielt, in der Regel immer Morbus Crohn ist. Aber das heißt, es ist nicht so ganz schwarz-weiß zuzuordnen.

Axel Enninger: Also Morbus Crohn, Colitis ulcerosa plus CED-u, unklassifizierbare Colitis. Wenn Sie das in Ihren Arztbriefen lesen, liegt es nicht daran, dass Ihr Kinder-Gastroenterologe sich nicht entscheiden kann oder vielleicht ein bisschen blöd ist. Es ist eine der drei typischen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Sind die denn klinisch anders?

Christoph Schick: Sie können sich unterscheiden. Es gibt schon Charakteristika, die eher für die eine oder für die andere Erkrankung sprechen. Die Colitis ulcerosa finde ich immer ein bisschen einfacher, weil die Colitis ulcerosa eigentlich immer mit Durchfällen einhergeht und/oder mit Blut im Stuhl. Insbesondere das Blut im Stuhl ist da fast immer vorhanden. Es mag in der Anfangsphase mal so sein, dass da noch kein Blut dabei ist, aber es kommt eigentlich fast immer irgendwann. Die Colitis ulcerosa macht dann auch häufig, weil sie eigentlich immer im ganz distalen Anteil vom Dickdarm die Hauptbeschwerden macht, Probleme beim Stuhlgang oder kurz vor oder kurz nach dem Stuhlgang. Das ist auch ganz klassisch für die Colitis ulcerosa. Das heißt, es gibt Hinweise dafür und dann ist der Dickdarm natürlich eigentlich nicht primär für die Aufnahme von Nährstoffen verantwortlich. Deswegen sind es in der Regel die Kinder, die am Anfang nicht so sehr mit Dingen wie einer Wachstumsstörung oder mit Vitaminmangel oder dergleichen auffallen. Bei Morbus Crohn ist es ein bisschen schwieriger, der kann ja von Mund bis Popo alle Regionen des Magen-Darm-Traktes betreffen. Das fängt quasi mit Aphthen im Mund an und endet mit manchmal wirklich schwerwiegenden Veränderungen im Popo-Bereich. Da kommt es eben ganz drauf an, wo sich der Morbus Crohn zeigt. Er ist ja typischerweise nicht kontinuierlich im ganzen Darm vorhanden, sondern eben in bestimmten Abschnitten und dann wieder kommen gesunde Abschnitte. Deswegen sind die Bauchschmerzen ein Teil davon, aber manchmal eben auch die Wachstumsstörung oder die Gewichtsentwicklung oder die Durchfälle, aber es muss bei Morbus Crohn eben nicht alles davon vorliegen.

Axel Enninger: Gibt es eben auch klassischerweise ohne blutige Stühle. Deswegen gibt es auch ganz gute Daten dafür, die zeigen, bei der Colitis ulcerosa ist die diagnostische Latenz viel kürzer, weil Blut im Stuhl immer ein Alarmsymptom ist. Da wird schneller geschaltet und dann auch schneller Diagnostik gemacht. Du hattest vorhin schon gesagt, es geht im Mund los. In die Mundhöhle gucken wir ja häufig, aber am Popo spielt sich auch häufig etwas ab. Das war das, was wir im Vorgespräch auch schon mal festgestellt haben: Eine der Nachrichten, die wir gerne loswerden wollen, ist: körperliche Untersuchung inklusive des Anogenitalbereiches, oder? Hingucken!

Blick in die Hose: Immer den Anusbereich mit ansehen

Christoph Schick: Auf jeden Fall, ganz wichtig. Und natürlich gerade, wenn es um Jugendliche geht, manchmal vielleicht auch nicht immer so einfach. Wenn man die Möglichkeit hat, als männlicher Kollege bei einem jugendlichen Mädchen da vielleicht eine Kollegin hinzuzuziehen, kann das helfen. Also es gibt, glaube ich, immer Möglichkeiten, dass man doch gucken kann. Wenn jemand mal gar nicht gucken lassen will, dann kann es ja sein, dass es am Ende sowieso auf eine Endoskopie hinausläuft. Dann kann das auch mal die Notlösung sein, aber eigentlich soll man in die Hose gucken, ja.

Axel Enninger: Okay, wir hatten mit Bauchschmerzen gestartet und hatten ein paar andere Symptome vorhin schon erwähnt. Sag noch mal, worauf wir Pädiater besonders achten und wir können ruhig noch mal etwas wiederholen von dem, was wir vorhin schon angedeutet haben.

Hinweise wie Erythema nodosum

Christoph Schick: Ich meine, wir achten natürlich ganz besonders auf die Entwicklung des Kindes. Also das heißt, ist die Pubertätsentwicklung normal, ist das Wachstum normal, ist die Gewichtsentwicklung normal? Wir gucken uns die Perzentilen dazu an, die ganz entscheidend sind. Und dann ist es natürlich so, dass wir uns das ganze Kind angucken müssen und schauen, ob es auch noch irgendwelche anderen Erscheinungen gibt, die vielleicht gar nicht direkt auf den Darm bezogen sind und trotzdem was mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu tun haben können. Als Beispiel das Erythema nodosum an den Beinen. Auch da hab ich gerade – kleine Anekdote – wieder einmal eine Patientin gehabt, die seit einem Jahr wegen einem Erythema nodosum behandelt wurde und keiner hat daran gedacht, dass der Darm vielleicht auch krank sein könnte. Und – wen wundert es – hatte sie doch Morbus Crohn in der Endoskopie.

Axel Enninger: Ja, und umgekehrt gibt es das natürlich auch. Sie sitzen bei einem, erzählen alle möglichen Symptome, aber nicht, dass sie so eine schmerzhafte rote Stelle am Schienbein haben. Auch danach muss man wirklich fragen. Das gibt es in beide Richtungen. Jetzt hast du vorhin schon gesagt, was unsere Basisdiagnostik ist. Die kann man, wie gesagt, gut in der Leitlinie nachgucken. Jetzt kommen ja Eltern häufig vom Kinder- und Jugendarzt geschickt in deine Sprechstunde. Du hast die Red Flags abgeklappert, der Kinder- und Jugendarzt hat brav die Basisdiagnostik gemacht, es wird ein Calprotectin mit normalem Wert mitgebracht, du hast den Patienten untersucht und jetzt sagen die Mutter und der Vater: ‚Aber jetzt möchte ich mal eine Darmspiegelung.‘ Was sagst du dann?

Keine vorschnelle Endoskopie

Christoph Schick: Also, wenn das Calprotectin normal ist, dann hat es in der Regel schon einen sehr guten Vorhersagewert. Meistens machen wir, wenn die Kinder zu uns in die spezialisierte Sprechstunde kommen, auch noch ein Ultraschall, weil das noch mal eine zusätzliche Ergänzung ist, um sich den Darm anzugucken. Man braucht allerdings auch gute Schallköpfe dazu, um das wirklich gut anschauen zu können. Wenn die ganze Anamnese wunderbar passt, vielleicht würde ich auch noch ergänzen, ob es in der Familie etwas gibt, das haben wir vorher bei den Red Flags noch nicht genannt, ob jemand Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa hat, dann würden wir, denke ich, anders als im Erwachsenenalter nicht jedes Kind mit Bauchschmerzen endoskopieren, weil eine Endoskopie natürlich, je kleiner ein Kind ist, auch immer eine Belastung ist. Eine Koloskopie und die Darmvorbereitung sind gerade für kleinere Kinder oft ganz schwer durchführbar. Man würde versuchen, die Eltern gut davon zu überzeugen, dass Reizdarm auch eine Erkrankung ist, wenn man gut genug hingeguckt hat.

Axel Enninger: Okay, spannend. Also da haben wir jetzt, glaube ich, ein Generationsthema. Du hast gerade gesagt: ‚Na ja, wir müssen nicht jedes Kind endoskopieren.‘ Ich würde es fast umdrehen. Wir müssen viele Kinder nicht endoskopieren. Ich würde noch mal verstärken: Keine Red Flags, keine sonstigen Dinge und Calprotectin normal – noch mal: sehr hoher negativer Vorhersagewert – das heißt, wenn das Calprotectin normal ist, ist die Wahrscheinlichkeit für eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung ganz gering. Wir können gleich noch mal über Normwerte reden, aber ja, wir brauchen oft keine Endoskopie. Wenn wir jetzt doch denken, es geht irgendwie in die Richtung, wollen wir dann noch mehr? Wollen wir dann doch noch mehr Stühle oder so etwas?

Parasiten ausschließen

Christoph Schick: Also, was wir natürlich eigentlich immer tun, insbesondere wenn Durchfälle da sind, ist, dass wir eine Mikrobiologie aus dem Stuhl machen. Es gibt ja durchaus Erreger, die chronische Erkrankungen machen können, Stichwort „Parasiten“. Die Lamblien können das ganz gerne mal tun, die machen meistens keine blutigen Stühle. Ich habe es auch schon erlebt, als ich als junger Kinder-Gastroenterologe tätig war, dass mein Chef mich gedrängt hat zügig zu spiegeln und dann waren es doch die Yersinien, die eben auch so ähnliche Krankheitsbilder machen können. So etwas gehört ausgeschlossen, weil man dann im Zweifelsfall auch einfach gar keine Endoskopie braucht und eine andere Ursache gefunden hat.

Axel Enninger: Das würde ich gerne noch einmal unterstreichen. Dieses „Machen Sie mal schnell!“ auf Druck von Eltern, Kinder- und Jugendarzt oder so ist oft keine gute Idee. Dann sind es doch die Lamblien oder dann sind es doch die Yersinien, wie von dir gesagt, und dann hat man diesen Aufwand mit Vorbereitung, Narkose, allem Möglichen gemacht. Also, nicht mal eben schnell „eine Kolo“, ist ein ganz schlechter Rat. Also wichtig: Parasiten ausschließen. Lamblien gibt es auch mitten in Deutschland, man braucht keine Fernreise dazu gemacht zu haben. Okay, und jetzt, können wir mal sagen, ist die Welt meist nicht schwarz-weiß wie wir es vorhin gesagt haben. Da ist jetzt einer, der hat keine Red Flags und sieht eigentlich auch klinisch ganz gut aus und sagen wir mal, er ist zwölf und bringt dir einen Calprotectinwert von 87 mit. So, und jetzt?

Calprotectin hat einen guten Vorhersagewert

Christoph Schick: Also reden wir mal noch ein bisschen über das Calprotectin. Wenn der Wert unter 50 ist, ist Calprotectin tatsächlich ein super Parameter. Ein bisschen müssen wir gleich noch über altersabhängige Normwerte reden, weil der Patient, den du jetzt gerade nennst, schon in dem Alter ist, wo wir Erwachsenen-Normwerte haben, und da ist es der klassische Cut-off, wobei eben der Graubereich bis 100 geht. Das heißt, wir sind schon mal in einem Bereich, der nicht so richtig typisch ist für eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Calprotectin ist sehr unspezifisch, also jeder Infekt treibt das Calprotectin hoch und deswegen würden wir bei so einem Wert von 87 in der Regel immer erst einmal ein zweites Calprotectin mit einem gewissen Abstand machen von, sage ich mal, 2 bis 3 Wochen, um zu gucken, ob es vielleicht steigt – das ist ja eine Möglichkeit – oder ob es dann wieder normal ist. Und wenn es dann wieder normal ist, dann ist es auch normal, das ist ganz wichtig. Bei den ganz kleinen Kindern ist es eigentlich super interessant. Bei unter einjährigen Kindern gibt es Studien, die sagen, Werte bis 2.000, vielleicht sogar 4.000 können normal sein, also unglaublich weite, nach oben reichende Range, weshalb ich eigentlich sogar meinen Kolleginnen und Kollegen immer versuche beizubringen: Lasst bei diesen kleinen Kindern mal die Calprotectinbestimmung. Sie bringt dich gar nicht weiter, sie verunsichert nur ganz gewaltig. Und irgendwo, so bis zum zweiten bis fünften Lebensjahr, pendeln sich die Werte auf die bekannten Erwachsenen-Normwerte ein. Also, das heißt, Calprotectin ist super, wenn es normal ist, im Kleinkindesalter schwerer zu interpretieren und eben unspezifisch und muss manchmal noch mal kontrolliert werden.

Axel Enninger: Sehr gut. Lass uns eine kleine Klammer aufmachen für die Kinder im ersten Lebensjahr. Wenn man dann weiß, Calprotectinwerte können sky-high sein und das sagt uns eigentlich nichts, dann denken viele: ‚Ah, da gab es doch mal Lactoferrin‘, und dann bestimmen sie Lactoferrin. Achtung, Achtung, Achtung, liebe Kolleginnen und Kollegen, Lactoferrin ist in hoher Menge in Muttermilch. Bei gestillten Kindern ist die Bestimmung von Lactoferrin Unsinn und das Einzige, was Sie produzieren, sind Kosten und Tränen. Also auch da hilft es nichts. Klammer wieder zu. So, jetzt haben wir zweimal Werte, jetzt nehmen wir den gleichen Burschen, der ist 10 und der erste Wert war 80 und der zweite Wert ist 250, die Bakteriologie ist negativ. Die Parasiten sind es auch nicht. Dann willst du eine Überweisung – oder nicht?

Endoskopie gleich richtig

Christoph Schick: Also, eine Überweisung in die Sprechstunde will ich dann auf jeden Fall, weil ich mir jedes Kind angucke, bevor ich irgendwie die Entscheidung treffe, ob eine Endoskopie erfolgt oder nicht. Das ist, glaube ich, auch noch mal etwas, was man nach draußen geben kann. Was gar nicht schön ist, ist, wenn man denkt – so läuft es ja manchmal bei den Erwachsenen – jetzt machen wir so eine Auftragsleistung, mal eben schnell die Endoskopie. Ich würde mir den natürlich auch noch mal genau angucken und ich würde jetzt sagen, bei einem Wert von 250 könnte es sein, dass ich sogar noch mal ein drittes Mal kontrolliere, aber im Prinzip sind wir jetzt langsam in den Bereichen. Typisch für die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sind ja durchaus eher Werte von 400–500, aber das gibt es eben auch mit 250. Man wird wahrscheinlich jetzt irgendwann die Entscheidung treffen müssen, doch in diesen Darm einmal reinzugucken.

Axel Enninger: Lass mich kurz zu der Vorstellung in der Sprechstunde etwas sagen. Wir machen es ein bisschen differenzierter. Bei uns ist es so, dass die bei uns ausgebildeten Kinder-GastroenterologInnen, die bei uns hier in der Nähe sitzen, wenn die uns ein Kind zur Koloskopie schicken, dann dürfen sie direkt ein Kind zur Koloskopie schicken. Und bei dem ein oder anderen lasse ich mir dann noch Werte schicken und dann sage ich schon auch manchmal: ‚Okay, das ist so sonnenklar, da müssen wir reingucken.‘ Also wir machen es nicht ganz so streng wie du.

Christoph Schick: Machen wir auch. Wir haben allerdings nicht so viele Kinder-Gastroenterologen umliegend niedergelassen, da gibt es nur wenige.

Axel Enninger: Also wir haben immerhin drei in Stuttgart. Okay, also und dann siehst du den und besprichst alles noch mal. Und dann gibt es einen Endoskopietermin und dann sagen die Eltern: ‚Aber eine Darmspiegelung reicht doch, oder?‘

Christoph Schick: Auf keinen Fall. Auch das ist ja etwas, was in der Erwachsenenwelt manchmal anders läuft. Da wird dann erst einmal die Darmspiegelung gemacht und dann findet man etwas Auffälliges, und dann sagt man, jetzt braucht man noch eine Magenspiegelung, dann läuft ein zweiter Termin. Bei Kindern ist es so, dass wir immer die kombinierte Spiegelung durchführen. Es ist auch so – mit einer ganz geringfügigen Einschränkung, dass man bei der ganz typischen Colitis ulcerosa vielleicht darauf verzichten könnte, dass es auch gefordert ist für die Diagnostik, um sich sicher zu sein, ist es wirklich jetzt eher Morbus Crohn, eher Colitis ulcerosa oder vielleicht CED-u, sodass wir immer eine kombinierte Untersuchung planen, schon allein deswegen, weil wir Kindern nicht zweimal eine Sedierung oder gar Narkose zumuten wollen. Also wir planen immer eine Gastroskopie und eine Koloskopie, Ileokoloskopie.

Stationär heißt gute Vorbereitung, guter Behandlungseinstieg

Axel Enninger: Ich glaube, das machen alle Kinder- und Jugend-Gastroenterologen so. Das ist eigentlich auch der Standard, auf den wir uns geeinigt haben. Wenn schon Koloskopie-Indikation, dann schauen wir in der gleichen Narkose auch oben rein. Okay, jetzt gibt es zunehmend von Eltern den Wunsch, das Ganze ambulant zu machen, wie in der Erwachsenenmedizin auch. Da haben wir beide im Vorgespräch festgestellt, dass wir so ein bisschen unterschiedliche Auffassungen dazu haben. Sag mal deinen, euren Weg, wie ihr das in Augsburg macht und vielleicht widerspreche ich dir dann ausnahmsweise ein bisschen.

Christoph Schick: Ich glaube, am Ende waren wir gar nicht so weit auseinander. Es ist so, dass wenn wir den Verdacht haben, es könnte am Ende doch nichts sein, dann planen wir es manchmal teilstationär und so, dass die Kinder vielleicht am gleichen Tag wieder nach Hause können. Wir machen das allerdings auch altersabhängig, dass die Kinder frühestens ab 14–15 Jahren zu Hause für die Darmspiegelung vorbereiten dürfen. Die Darmvorbereitung ist ja nicht immer so einfach. Bei jüngeren Kindern nehmen wir immer stationär auf. Aber eigentlich ist es so, dass wenn wir – und oft ist es ja vorher schon klar – den Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung haben, dann nehmen wir die Kinder stationär auf. Wir bereiten sie in der Regel dann eben auch stationär vor. Ich habe es auch schon erlebt, dass Kinder es entweder nicht trinken wollten oder man noch einmal nachjustieren muss und noch einen dritten Beutel geben, damit es gut läuft und man nicht schlechte Bedingungen bei der Endoskopie hat. Letztlich ist es so, dass wenn man dann diese Erkrankung bestätigt, dann braucht man Zeit. Diese Zeit plant man besser vorher ein und deswegen sage ich oft den Eltern: ‚Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie danach mindestens noch 3 Nächte bei uns sind. Wenn es dann nachher doch schneller geht, dann können Sie froh sein.‘

Axel Enninger: Okay, also in der Tat, wir machen es vor allem vor dem Hintergrund der Reinigungsqualität tatsächlich nur in ganz, ganz seltenen Ausnahmen ambulant, weil die Reinigungsqualität schon entscheidend ist und die ist dann doch oft nicht so richtig gut. Ich erinnere mich lebhaft an Eltern, die beide Krankenpfleger waren und gesagt haben: ‚Wir kriegen das hin und wir machen das.‘ Und am Ende war es ein mittelgroßes Desaster, weil man praktisch nichts so richtig gesehen hat und alle waren hinterher frustriert. Das ist nicht gut. Dann müssen Sie das Kind noch mal in Narkose setzen. Also vor dem Hintergrund der Reinigungsqualität ist das ein großes Argument für die stationäre Aufnahme. Und dann machen wir es so ähnlich, wie ihr es macht: Wenn wir eine völlig unauffällige Koloskopie haben, dann schicken wir die Patienten am Nachmittag des Untersuchungstages nach Hause. Wenn wir denken, da ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, dann legen wir meistens los mit den Dingen, die wir jetzt hier besprechen müssen.

Christoph Schick: Vielleicht kann ich da noch ergänzen, Axel, ich meine, da haben wir ja auch im Vorgespräch drüber gesprochen: Es ist ja so, wenn sich diese Erkrankung zeigt, dann ist es eine schwerste Erkrankung, die lebenslang die Kinder begleitet. Das Entscheidende ist, dass sie einen guten Start haben und es macht keinen Sinn, sie dann in ein ambulantes Setting zu entlassen, wo man nicht die Möglichkeit hat, in Ruhe alles zu besprechen. Und wir reden sicher auch gleich noch drüber, was man dann noch so alles braucht in diesem stationären Aufenthalt.

Morbus Crohn: erweiterte Diagnostik, gute Weichenstellung

Axel Enninger: Okay, dann können wir das einmal durchspielen. Also wir sagen jetzt, wir haben die Endoskopie gemacht, wir haben ein gewisses Bauchgefühl vorher schon gehabt, wir haben gesagt: ‚Na ja, das wird schon ein Crohn sein.‘ Dünner Patient, Bauchweh, eher leistungsbewusst – ich greife jetzt mal in die Klischeekiste – ja, jemand, der sich mit seinen Bauchschmerzen immer noch in die Schule geschleppt hat, ein bisschen anders als die mit den funktionellen Beschwerden. Und dann gucken wir da jetzt rein. Wir machen eine Koloskopie, das sieht alles ganz typisch aus. Kranke Abschnitte wechseln sich ab mit gesunden Abschnitten, man sieht typisch aphthöse Veränderungen und man sagt: ‚Ja, das wird, Histologie hin oder her, ein Morbus Crohn sein.‘ Was machen wir dann?

Christoph Schick: Dann müssen wir natürlich erstmal in Ruhe über diese Erkrankung mit den Kindern, Jugendlichen und Eltern sprechen. Wir brauchen dann in der Regel auch noch mal ein bisschen erweiterte Diagnostik. Die erweiterte Diagnostik können wir ja vielleicht zuerst besprechen. Da geht es noch nicht so um die spezifische Behandlung des Morbus Crohn, aber wir brauchen dann eigentlich fast immer noch eine Abklärung, insbesondere mit Blick auf vielleicht im Verlauf einzusetzende Medikamente oder eben auch noch mit der Frage, ist es doch etwas anderes. Wir brauchen einen Tuberkulosetest, wir machen bei uns eigentlich immer eine Echokardiographie, also wir machen einen großen Checkup, wenn man so möchte, ein EKG. Und dann braucht man natürlich, egal ob man sich für eine besondere Ernährungsform entscheidet – können wir gleich drüber sprechen – eigentlich für alle diese Kinder eine Ernährungstherapie, die man hinzuzieht. Das braucht Zeit. Wir nehmen immer unsere Teampsychologin mit dazu, die mindestens mal Kontakt mit den Familien aufnimmt, damit das Gesicht schon mal gesehen ist. Manche Kliniken, kann man auch dazu sagen, kriegen es auch hin, dass man das Gespräch schon gemeinsam mit der Psychologin führt. Das schaffen wir leider nicht immer, aber es gehört definitiv auch dazu. Das heißt, da braucht es eine ganze Menge zusätzlicher Abklärung, die wichtig ist, damit die Weichen für danach gut gestellt sind. Und man muss eben sehr in Ruhe mit ihnen sprechen, was das überhaupt für eine Erkrankung ist. Die Schuldfrage muss vom Tisch, da ist aus der Familie keiner Schuld dran, von früher, die Mama, der Papa, und man muss eben dann in Ruhe darüber sprechen, was es für Möglichkeiten gibt, es zu behandeln.

Axel Enninger: Und ich glaube, Informationsvermittlung ist heute noch wichtiger als früher, denn die Informationsquellen, die unsinnige Dinge verbreiten, werden leider immer mehr. Wir haben eine Broschüre, die wir selber geschrieben haben, wo wir erklärt haben, wie es so funktioniert, welche Medikamente es geben kann. Und ansonsten ist der Verweis auf die wirklich extrem gut funktionierende Selbsthilfegruppe der Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wirklich hilfreich: www.dccv.de, Deutsche Morbus Crohn- und Colitis ulcerosa-Vereinigung. Es gibt auch eine „Jugendfraktion“ und eine Sozialberatung und das ist wirklich die Quelle, auf die wir immer alle hinweisen, um möglichst ein bisschen „immun“ zu werden gegen exotische Dinge, die man sonst so angeboten bekommt. Okay, also Start in einen – muss man schon sagen – neuen Lebensabschnitt. So ist das ja dann für die gesamte Familie und auch für den Patienten. Wir haben jetzt gerade gesagt, es ist klinisch ein Morbus Crohn. Und jetzt gibt’s Medikamente?

Ernährungsansatz: Trinknahrung und Crohn‘ s Disease Exclusion Diet

Christoph Schick: Bei Morbus Crohn haben wir die tolle Option, dass, wenn es zumindest kein wirklich schwerer Morbus Crohn ist, der vielleicht Stenosen hat oder einen schweren Befall im Perianalbereich, wir Ansätze haben, über die Ernährung zu behandeln. Das heißt, wir brauchen bei Morbus Crohn vielleicht keine Medikamente und bei mildem und moderatem Crohn ist die Erstlinientherapie definitiv die Behandlung über die Ernährung. Es gibt zwei sehr etablierte Ansätze. Der eine ist ein bisschen älter, das ist die exklusive enterale Ernährung, wo die Kinder über, ich sag mal in der Regel 8 Wochen, ausschließlich eine bestimmte Trinknahrung trinken. Wenn man so will, ist das eine Maximalform einer Auslassdiät, ziemlich sicher. Man denkt immer so, das ist toll und nebenwirkungsfrei und das ist es auch. Es ist hervorragend, dass man da eine Möglichkeit hat, ohne Medikamente, die ins Immunsystem eingreifen, zu behandeln, aber es ist schon eine Herausforderung für die Kinder und Jugendlichen, das durchzuhalten. Was eben ein weiteres Argument dafür ist – das starten wir auch immer stationär – dass man gut am Anfang mit ihnen spricht, wie komme ich damit klar, was gibt es für Tricks und Tipps, wie sie das vielleicht irgendwie gut durchhalten können. Und wo man gut versuchen muss, sie zu motivieren und wo es auch ein Team braucht, das motiviert rangeht und sagt: ‚Super, wir haben eine Lösung für dich und jetzt schaffen wir das zusammen.‘

Axel Enninger: Sehr gut, ist bei uns auch so. Bei uns ist es streng verboten zu sagen: ‚Du Armer, jetzt musst du das und das trinken‘. Das ist kein guter Start, sondern man kriegt das immer irgendwie hin. Und für den Patienten ist das einerseits schwierig, aber auch für die Familien ist es zum Teil wirklich schwierig, weil das Essritual zu Hause manchmal schwer gestört ist. Die Eltern trauen sich dann nicht, normal zu essen in Anwesenheit ihres Kindes. Und das ist schon eine echte Challenge für die Familien. Aber es ist eine leitliniengerechte Therapie, Leitlinien lassen sich nachlesen bei den üblichen Fachgesellschaften. Aber exklusive enterale Ernährungstherapie ist nicht irgendwas Esoterisches, sondern es ist leitliniengerechte Therapie. Jetzt ist das aber nicht so ganz easy und deswegen gibt es eine kleine Weiterentwicklung. Willst du davon ein bisschen was erzählen?

Christoph Schick: Ja, es gibt mittlerweile auch schon seit einer ganzen Menge Jahre noch andere Ernährungsansätze. Man hat sich natürlich immer gefragt, woran liegt es denn überhaupt, dass es funktioniert, und nimmt im Prinzip an, dass bestimmte Nahrungsmittel – wir wissen aber nicht genau, welche wirklich im Detail, wir kennen nur Gruppen und wissen auch, dass prozessierte Nahrungsmittel wahrscheinlich eine Rolle spielen – dass man eben bestimmte Nahrungsmittel weglassen muss. Deswegen gibt es die Crohn’s Disease Exclusion Diet, die, würde ich sagen, die zweit-etablierteste Form ist. Es gibt aber auch inzwischen noch andere Ansätze wie Tasty and Healthy, die Ähnliches verfolgen. Bei der Crohn’s Disease Exclusion Diet decken die Kinder und Jugendlichen zwar einen Teil ihres Energiebedarfs über diese Trinknahrung, dürfen aber begleitend auch noch essen unter Auslassen von bestimmten Lebensmitteln. Vor allem wird da Kuhmilch gemieden, es wird Weizen / Gluten gemieden und eben prozessierte Lebensmittel gemieden. Man muss sie gut begleiten und es mit den Eltern besprechen. Sie hat aber den großen Vorteil gegenüber der exklusiven enteralen Ernährung, dass sie auch längerfristig anwendbar ist. Was wir ganz gut wissen, ist, dass wenn wir die Kinder 8 Wochen mit der exklusiven enteralen Ernährung, nur mit Trinknahrung, behandeln, dass danach das Risiko, dass es wieder auftritt, gar nicht so gering ist. Das heißt, wir brauchen irgendwie ein Anschlusskonzept und wenn wir natürlich ein Ernährungskonzept haben, das wir länger durchsetzen oder durchführen können, dann ist es viel, viel besser. Da wird quasi die Ernährung langsam ein bisschen lockerer im Verlauf, aber sie wird trotzdem auch ganz langfristig bestimmte Einschränkungen mit sich bringen.

Vollbilanzierte Trinknahrung über die Krankenkasse

Axel Enninger: Da gibt es ganz gute Stufenkonzepte. Die ersten 6 Wochen sind relativ streng, die nächsten 6 Wochen sind etwas gelockert. Das Ziel ist auch, dass man die Jugendlichen und die Kinder in Richtung einer, in Anführungszeichen „gesunden“, dauerhaften Ernährung bekommt unter Weglassen von bestimmten Dingen, von denen wir wissen, dass sie nicht gut sind. Sozusagen eine Änderung des Ernährungsmusters ist auch Teil des Ansatzes. Jetzt fragen sich viele niedergelassene Kinder- und Jugendärzte immer, wie denn das mit der Verordnung dieser Trinknahrung ist. Da gibt es große Ängste, dass man in irgendwelche Regresse geraten könnte. Willst du dazu etwas sagen?

Christoph Schick: Ja, ich glaube, dazu muss man sich eigentlich nur klarmachen, wie die Regeln für die Verordnungsfähigkeit von solchen Trinknahrungen sind, also von enteralen Ernährungspräparaten. Eine Voraussetzung ist, dass man eine vollbilanzierte Nahrung einsetzt. Vollbilanziert heißt, da muss alles drin sein, was man braucht, also Energie, aber eben auch Vitamine, Spurenelemente und so weiter, sodass man auch alleine davon leben könnte. Die Mindestvoraussetzung ist, dass sie isokalorisch oder höher ist, also mindestens eine Kilokalorien pro Milliliter. Dann gibt es eine zweite Voraussetzung, und die heißt, dass man die Ernährungssituation, die man erreichen möchte oder die Behandlung, anders nicht erreichen kann. Wenn man eine leitliniengerechte Therapie hat, die die Ersttherapie in den Empfehlungen ist, die man anders nicht erreichen kann, dann sind beide Voraussetzungen erfüllt. Da muss man tatsächlich überhaupt keine Angst vor einem Regress haben. Das ist auch für uns Kliniker total wichtig, weil wir ja häufig daran gebunden sind, dass wir zur Entlassung nur ganz wenig rezeptieren dürfen. Dann haben wir mühsam den Start geschafft, dass die Patienten anfangen es zu trinken, und wenn das dann zu Hause nicht weiterläuft mit der Rezeptierung, ist das eigentlich eine Katastrophe.

Medikamentöse Optionen für den Remissionserhalt

Axel Enninger: Also, ich kann sagen, ich mache es jetzt seit knapp 30, also gut 25 Jahren, und ich kenne keinen einzigen Kollegen, der deswegen einen Regress hatte. Das ist mehr ein theoretisches Thema, also seien Sie da nicht verzweifelt, seien Sie nicht schüchtern, das kann man gut machen. Wir in Stuttgart können das zum Glück über unsere Ermächtigungsambulanzen verordnen, wenn Sie davor Angst haben. Aber eigentlich müssen Sie davor keine Angst haben, das können Sie problemlos aufschreiben. Jetzt hattest du vorhin schon, als wir über die exklusive enterale Ernährungstherapie gesprochen haben, gesagt, wir brauchen irgendetwas für hinterher, weil die Rückfallquoten hoch sind. Was sind denn die Medikamente, die wir da in aller Regel einsetzen? Sie haben komplizierte Namen und die Beipackzettel lesen sich furchtbar, was machen wir denn da?

Christoph Schick: Ich meine, die klassischen, sagen wir mal zwei Medikamente bei Morbus Crohn sind Azathioprin und Methotrexat, die wir zum Remissionserhalt einsetzen. Bei der Colitis ulcerosa ist es eher nur das Azathioprin. Beides Medikamente, die als Immunmodulatoren einen, sagen wir mal, mittelhohen immunsuppressiven Effekt haben, also gar nicht schwer immunsuppressiv sind, wobei, wenn wir über die Impfungen später reden, dann ist es schon so, dass die sehr relevant sind. Und die sind auch weiterhin die erste Empfehlung, wenn es um die Frage geht, wie wir Remissionserhalt machen. Also das heißt, wenn wir bei Morbus Crohn die Situation haben, dass die Ernährung nicht reicht, dann ist es ein Ansatz. Die kann man sehr differenziert versuchen zu wählen, je nachdem, ob das Jungs oder Mädchen sind und ob schon mal eine EBV-Infektion vorgelegen hat oder nicht. Aber ich glaube, das ist dann so das Feintuning, das uns als Zentrum eigentlich obliegt zu entscheiden.

Axel Enninger: Also beides Medikamente, die wie gesagt lange und schreckliche Beipackzettel haben. Die Risiken kennen wir aber gut, wir wissen gut, auf was wir aufpassen müssen und am Ende ist es so, dass wir im wahren Leben kaum je wirklich richtig schlimme Nebenwirkungen erlebt haben.Deswegen keine Sorge, wenn Sie sehen, da kriegt ein Patient Azathioprin. Und vielleicht, falls uns Allgemeinmediziner oder internistische Kollegen zuhören, dann hören wir Kinder- und Jugendärzte immer wieder mal: So jung und schon so potente Medikamente? Und meine Antwort darauf ist immer: Ja, gerade weil sie so jung sind, brauchen sie so potente Medikamente. Die Krankheitsverläufe bei Kindern und Jugendlichen sind oft schwerer als bei den Erwachsenen. Sie haben ein mehr stimulierbares Immunsystem und ein Immunsystem, das in die falsche Richtung gehen kann. Das heißt, es ist eher so, dass wir sie häufiger einsetzen als die internistischen Kollegen. Das hattest du jetzt vorhin schon gesagt, und ich hatte gerade schon gesagt, ein relativ typisches Thema, das wir immer mit den Patienten ansprechen beim Azathioprin ist das Stichwort „Sonne“. Da können wir vielleicht auch jetzt eine kleine Klammer aufmachen. Wir wollen Sonne und Vitamin D, aber wir wollen auch Sonnenschutz, das ist ein schmaler Grat. Sag doch mal ein bisschen was dazu.

Sonnenschutz ist für alle Kinder wichtig, Vitamin D auch

Christoph Schick: Ich meine, da sind alle Eltern verunsichert, weil natürlich der Sonnenschutz bei diesen Medikamenten deswegen so wichtig ist, weil es um die langfristige Hautkrebsprophylaxe geht. Aber im Prinzip betrifft es ja alle Kinder. Alle Kinder sollten gut vor der Sonne geschützt werden, sie sollten alle keine Sonnenbrände kriegen. Je früher im Leben man so etwas bekommt, umso größer ist das Risiko für die Hautkrebsentstehung und deswegen versuchen wir so gut wie es geht, da immer auch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich hatte letztens einen Jugendlichen, der dann quasi noch mal ein zweites Gespräch wollte, nachdem wir darüber gesprochen hatten und gesagt: ‚Oh Gott, jetzt kann ich nicht mehr zum Fußball, weil ich ja den ganzen Tag in der Sonne bin.‘ Das ist ja auch tatsächlich so. Da steht in der Regel nicht irgendwo ein Baum auf dem Feld, unter dessen Schatten man sich dann stellen kann. Aber wenn er sich gut eincremt und eben eine hochwirksame Sonnencreme benutzt – in der Regel sollte man einfach eine 50er Sonnencreme einsetzen und sich gut eincremen – dann kann man auch mit Azathioprin oder Methotrexat sein Leben genießen. Es gibt ja auch Empfehlungen, dass Kinder sich möglichst nicht gerade in der sonnenstärksten Zeit von 12 bis 15 Uhr in der prallen Sonne aufhalten sollen. Auch das kann man ja beherzigen, gilt aber eigentlich auch für alle Kinder. Also es ist wichtig, ja, aber es ist auch eigentlich nichts Besonderes unter der Therapie.

Axel Enninger: Okay, super. Noch mal unterstreichen: Keiner soll einen Sonnenbrand kriegen, egal was für eine Grunderkrankung er hat oder auch, wenn er keine Grunderkrankung hat. Sonnenbrand ist immer blöd. Aber ein guter Vitamin-D-Spiegel ist wahrscheinlich auch für fast alle gut, aber für unsere CED-Patienten ist der noch mal besonders wichtig. Warum ärgern wir denn unsere Patienten immer wieder mit der Nachfrage: ‚Hast du denn dein Vitamin D genommen?‘

Vitamin D stabilisiert den Erkrankungsverlauf

Christoph Schick: Das Vitamin D ist so ein Thema, um das es ja auch in den letzten Monaten und Jahren mal wieder viel kreist und wir wissen aus einigen Studien, dass eben bei den Patienten mit den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – es gibt ja zu anderen Erkrankungen auch entsprechende Daten – dass ein guter Vitamin-D-Spiegel ziemlich sicher davor schützt, irgendwie Schübe zu entwickeln. Also das heißt, es hilft uns, den Erkrankungsverlauf zu stabilisieren, wenn die Kinder einen guten Vitamin-D-Spiegel haben. Das ist ein komplexes Thema, weil wir ja gar nicht so genau wissen, was ein guter Vitamin-D-Spiegel ist, wenn man ganz ehrlich ist. Aber daraus kann man auch ableiten, dass es am besten ist, wenn die Kinder einfach alle Vitamin D nehmen. Und natürlich ist es trotzdem so, dass, denke ich, fast alle der CED-Ambulanzen auch die Spiegel monitoren, aber jedes Kind mit so einer Erkrankung kann und soll mindestens in den Wintermonaten Vitamin D einnehmen.

Axel Enninger: Ja, können wir noch mal unterstreichen. Also, ausreichender Vitamin-D-Spiegel – schwierig zu definieren, trotzdem – guter Vitamin-D-Spiegel schützt vor Schüben, kann man vielleicht als Memo sagen. Und jetzt lass uns vielleicht noch mal ganz kurz den niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten einen Einblick gewähren in unsere Trickkiste, die wir sonst noch haben, wenn unsere Standardmedikamente so nicht helfen:  -mabs, -nubs, -nibs – was ist denn gerade Trumpf?

Wirksame Medikamente, weniger Optionen als bei Erwachsenen

Christoph Schick: Wir haben in der Kinder- und Jugendmedizin leider, leider die Situation, dass unsere Trickkiste noch nicht ganz so groß ist wie die der Erwachsenenmediziner. Aber diese ganzen „Trickkisten-Medikamente“, die du gerade ansprichst – was wir schon am längsten einsetzen, sind die TNF-alpha-Blocker, und das gilt für beide Erkrankungen, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, sie waren ein Game Changer in der Therapie dieser Erkrankungen. Bevor es das gab, war es wirklich manchmal extrem schwierig, diese Kinder in eine gesunde Remission zu kriegen. Das heißt, das sind Medikamente, die man entweder über die Vene oder unter die Haut spritzen muss und die als Antikörper konzipiert sind. Sie fangen einen wichtigen Botenstoff in der Entzündungskaskade, eben das TNF-alpha, ab. Das ist, denke ich, das am allerhäufigsten eingesetzte Medikament. Dann hat es sich aber über die letzten 15 bis 20 Jahre deutlich weiterentwickelt. Jetzt ist es endlich so, dass es auch von den neueren Medikamenten zumindest erste Medikamente gibt, die ab 12 oder 16 Jahren zugelassen sind. Dazu gehören Medikamente wie das Vedolizumab, das quasi verhindert, dass Lymphozyten in den Darm einwandern können. Dazu gehören Medikamente, die das Interleukin-23 blocken, ebenfalls ein wichtiger Botenstoff in der Entzündungskaskade. Und dann gibt’s inzwischen noch neuere Medikamente, die als sogenannte Small Molecules auf dem Weg der sogenannten JAK-Inhibitoren in den JAK-Pathway eingreifen und dort die Entzündung unterdrücken helfen. Das heißt, es wird immer mehr, aber wir sind schon auch in der Situation, dass wir leider vor allem für die jüngeren Kinder ständig mit den Kassen streiten müssen, dass sie es übernehmen. Der sogenannte Off-Label-Use bedeutet für uns einen Haufen Arbeit und wir müssen den Kindern manchmal die ganze Bandbreite zunächst vorenthalten, weil wir erst die zugelassenen Medikamente einsetzen müssen. Aber die gute Nachricht ist: Erstens sind wir ja alle engagiert und bemüht, uns um unsere Kinder gut zu kümmern. Das heißt, wir machen das alle und dadurch haben wir doch auch für die Kinder inzwischen schon eine große Bandbreite, wenn mal die Standardmedikamente nicht funktionieren, um sie gut zu behandeln. Es ist selten geworden, dass wir Kinder gar nicht in Remission bekommen.

Axel Enninger: Das sind jetzt Dinge, die eindeutig im Spielfeld von uns Kinder-Gastroenterologen liegen. Kommen wir noch mal wieder zurück auf das Spielfeld der Kinder- und Jugendärzte. Da gibt es vielleicht 3 Punkte, die wir noch mal kurz erwähnen sollten. Punkt Nr. 1 ist: Patient war bei uns in der Ambulanz, hat irgendwie eine Medikation, es geht eigentlich nicht schlecht und dann wird es wieder schlechter. Dann landen sie in aller Regel in den Kinder- und Jugendarztpraxen. Was kann denn der Kinder- und Jugendarzt schon mal tun, beziehungsweise woran sollte er denken, wenn da ein Patient mit einer bekannten CED wieder bei ihm in der Sprechstunde aufläuft?

Wie Niedergelassene helfen können – interdisziplinäre Behandlung

Christoph Schick: Ich glaube, die zweite Frage ist vielleicht erst mal die wichtige, nämlich, an was muss er denken. Diese Kinder kann man vielleicht so betrachten wie ein Kind, das unter einer Chemotherapie steht. Also wir haben häufig immunsupprimierte Kinder, wo Infekte nicht gleich Infekte sind, sondern wo auch mal ein scheinbar banaler Infekt sich schnell zu einer echten Lungenentzündung oder eine Nebenhöhlenentzündung sich zu einer schweren Infektion entwickeln kann. Also das muss einem bewusst sein, wenn man solche Kinder vor sich sitzen hat. Dazu kommt, dass zum Beispiel die TNF-alpha-Blocker manchmal auch die Fieberreaktion ein bisschen unterdrücken können und deswegen ist es noch mal schwieriger einzuschätzen. Also hellhörig sein ist, glaube ich, wichtig, wenn man diese Kinder sieht und im Zweifelsfall eben großzügig rückzusprechen: Muss ich jetzt hier vielleicht schon frühzeitiger irgendwie mehr tun als einfach nur zu sagen, jetzt geben wir mal ein Fiebermedikament? Dazu kommt, dass manche der Fiebermedikamente auch für den Darm nicht so ganz optimal sein können, nämlich gerade das Ibuprofen. Wenn man einen entzündeten Darm hat, muss man damit ein bisschen vorsichtig sein. Das andere ist, dass es uns natürlich total hilft, wenn bestimmte Dinge schon gelaufen sind. Also wenn ein Kind mit einer doch irgendwie recht typisch klingenden Geschichte für eine akute Infektion kommt, dann hilft es, wenn schon mal Stuhldiagnostik gemacht ist, die man ja sonst bei anderen Kindern vielleicht gar nicht erst machen würde, sondern sagen würde, jetzt warten wir mal. Aber wenn wir solch ein Kind mit CED haben und wir haben da am Tag 2 schon den Norovirus-Nachweis, dann ist es für uns natürlich auch hilfreich. Und es kann auch hilfreich sein, wenn schon mal ein Calprotectin gemessen ist, wenn ein Kind bisher gut war, weil wir dann schon Informationen vorliegen haben, wenn das Kind zu uns kommt und wir besprechen müssen, wie es weitergeht. Sonst warten wir auch noch mal auf Befunde.

Axel Enninger: Aha, okay, sehr gut. Also Calprotectin bestimmen ist gut. Wiederum: Calprotectin bei blutigen Stühlen hilft uns nicht so richtig weiter, weil wir da wissen, bei blutigen Stühlen ist das Calprotectin immer hoch. Und vielleicht – das haben wir ganz am Anfang vergessen, das wollten wir unbedingt noch sagen, Christoph – es gibt eine Situation im Leben, wo man ein haushohes Calprotectin haben kann, blutige Stühle hat und trotzdem ein gesundes Kind. Stichwort „allergische Proktocolitis“. Also wenn Sie ein Kind sehen, wo Sie klinisch an allergische Proktocolitis denken, brauchen Sie kein Calprotectin zu bestimmen – beruhigen und fertig. Aber bei einem Patienten mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, der Durchfälle hat, hilft uns ein Calprotectin sehr.

Christoph Schick: Und vielleicht ergänzend dazu: Diese Kinder sind eben in der Regel die kleinen Säuglinge, das hast du jetzt gerade nicht gesagt, aber das ist uns natürlich allen klar, ja.

Axel Enninger: Okay, also das hilft. Infekt ist nicht gleich Infekt und je ausgefuchster die Medikamente sind, umso mehr muss man denken: ‚Huch, das ist ein immunsupprimierter Patient.‘ Und da hilft die Analogie im Kopf zu einem Patienten, der Chemo hat. Dann möchten wir immer noch gerne, dass die Niedergelassenen ab und zu mal Überweisungen ausstellen. „Kontrolluntersuchungen bei CED“ wäre da das Stichwort.

Christoph Schick: Ja, es gibt eben ein Risiko für diese Kinder, dass sie auch insbesondere in einem anderen Organ – und das ein bisschen mehr bei der Colitis ulcerosa, aber letztlich bei beiden Erkrankungen – Probleme gibt, nämlich in den Augen. Da ist ein erhöhtes Uveitis-Risiko. Das heißt, sie sollten regelmäßig beim Augenarzt vorgestellt werden, wenigstens jährlich. Es gibt durchaus auch Kollegen, die sagen, wenn man immunsuppressive Medikamente hat, sollte man auch regelmäßig zum Hautarzt, um die Haut angucken zu lassen. Zumindest sollte man da aufmerksam sein, aber ich glaub, der Augenarzt ist das, was am allerhäufigsten untergeht. Und natürlich immer dann, wenn irgendwie an anderen Organen auch noch Probleme da sind. Du hast es ja am Anfang schon angesprochen. Wenn ich jetzt ein Kind habe, das vielleicht auch Gelenkschmerzen dabei hat, dann kann es sein, dass es auch noch den Kinderrheumatologen braucht. Manche dieser Kinder haben nur Schmerzen und haben keine Arthritis, aber es gibt ja auch die Kombination aus beidem. Und natürlich, wenn da eine manifeste Hauterkrankung mit dabei ist, brauchen wir ja durchaus auch manchmal eben die Dermatologen. Da gibt es auch mehrere Situationen. Das Erythema nodosum haben wir ja schon erwähnt, das wird meistens einfach besser, wenn wir den Crohn behandeln. Aber wir sehen ja manchmal auch unter diesen Medikamenten Nebenwirkungen, die so ein bisschen schuppenflechtenartig aussehen, wo es auch hilfreich sein kann, wenn wir da gemeinsam interdisziplinär behandeln.

Gut geimpft ist eine wichtige Voraussetzung

Axel Enninger: Lass uns ein letztes Kapitel nur kurz anreißen, weil wir darüber eine eigene Podcast-Folge machen könnten. Und das ist das Kapitel, wo auch der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt gefragt ist, nämlich das Stichwort „Impfungen“. Da wollten wir ein paar Dinge unbedingt loswerden.

Christoph Schick: Ich glaube, die erste Message ist: Ein gut geimpftes Kind ist für uns eine enorm gute Grundvoraussetzung, um zügig mit Therapie starten zu können, wenn wir immunsuppressive Therapie benötigen. Weil so eine Erkrankung, insbesondere wenn sie schwer verläuft, schnell immunsuppressiv behandelt werden muss, dann sollten diese Kinder optimal geschützt sein. Und dann bleibt oft keine Zeit mehr, sie zu impfen. Also das heißt: Den STIKO-Kalender gut einhalten und nicht zu sagen, es reicht auch noch nächstes oder übernächstes Jahr, ist die zentrale Message überhaupt – schon, bevor es um CED geht.

Axel Enninger: Also ich unterstreiche es auch noch einmal: Man beißt sich in den Bauch und Eltern beißen sich selber auch in den Bauch, wenn man sagt: ‚Na ja, wir wollten … und wir haben den STIKO-Kalender so ein bisschen in die Länge gezogen und die und jene Impfung wollten wir dann und dann machen.‘ Das ist saublöd, vor allem bei Lebendimpfungen, weil bei vielen Medikamenten, die wir einsetzen, da darf man Lebendimpfungen nicht mehr applizieren oder muss wieder Pausen machen, muss Therapiepausen machen. Das ist echt blöd. Das heißt, STIKO-Kalender einhalten hilft uns irre gut.

Christoph Schick: Und wenn wir tatsächlich da Lücken sehen, dann heißt es auch, wenn wir gerade zum Beispiel bei Morbus Crohn am Anfang mit einer enteralen Ernährungstherapie beginnen und wir ja auch noch nicht wissen, ob das jetzt wirklich langfristig unser Therapiekonzept sein kann, weil es ausreichend hilft, dass wir so schnell wie möglich diese Lücken schließen müssen. Wir dürfen nicht denken: ‚Oh je, jetzt haben wir da eine neu diagnostizierte chronische Erkrankung im Darm mit Inflammation, und wir dürfen jetzt nicht impfen.‘ Im Gegenteil! Es ist für uns ganz, ganz wichtig, dass dann zügig diese Impflücken geschlossen werden. Und auch da kann ich ja noch mal eine Anekdote erzählen: Wir hatten letztens ein Kind aus einer Familie, die aus der Ukraine geflüchtet war und für den Einreisestempel die Masern-Mumps-Röteln-Impfung gebraucht hat. Die Familie hat sich verständlicherweise, weil in Not, die Impfung erschwindelt. Dann hat das Kind mit 4 Jahren eine ganz frühe chronisch-entzündliche Darmerkrankung entwickelt. Wir haben gedacht, es ist geimpft und haben mit der Behandlung begonnen, aber es war nicht geimpft. Wenn so ein Kind dann unter TNF-alpha-Blocker eine Masern- oder auch eine Varizellen-Infektion entwickelt, dann kann das wirklich dramatisch verlaufen.

Axel Enninger: Und auch das unterstützen wir noch mal: Totimpfstoffe gehen praktisch immer, da gibt es nur ganz, ganz wenige Ausnahmesituationen. Also Totimpfstoffe kann man gut und regelmäßig machen. Und der Winter kommt früher oder später – Influenza ist auch für Patienten mit immunsuppressiven Medikamenten bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung unbedingt Trumpf.

Christoph Schick: Und ich glaube, wir haben auch in den Shownotes eine Literaturquelle drin, wo man noch mal ganz gut nachgucken kann (*), weil das immer so verunsichert: Was darf ich denn bei welchen Medikamenten impfen? Zum Beispiel ist eine niedrigdosierte Kortisontherapie nicht unbedingt ein Hinderungsgrund. Also ich finde das sehr hilfreich, dieses Paper, um da einfach noch mal reinzublättern und zu fragen, darf ich jetzt oder darf ich nicht. Aber deine Message „Totimpfstoffe gehen immer“, die ist ganz, ganz wichtig.

Axel Enninger: Christoph, du hast vielleicht die ein oder andere Folge schon mal gehört und dann weißt du, dass unsere Folgen immer enden mit Dos & Don‘ ts, mit positiven oder negativen Ratschlägen an die Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Reihenfolge bleibt dir überlassen.

Blick in die Hose, Infekte ernstnehmen, Calprotectin, Impfungen, Vitamin D

Christoph Schick: Ja, ich glaube, ich fange mit den Don‘ ts an, damit wir die positiven Dos am Ende übrig haben. Vergesst nie, den Po anzugucken, das ist ganz entscheidend. Also in die Hose schauen darf nicht untergehen. Das Schlimmste ist, wenn da eine CED übersehen wird, die sich vielleicht nur dort manifestiert. Und was, glaube ich, auch ganz wichtig ist, ist, was wir vorher angesprochen haben: Wenn Kinder mit Infekten kommen, wenn sie so eine Erkrankung haben, dann bitte nicht einfach abtun als harmlosen Infekt, sondern hellhörig sein und im Zweifelsfall Rücksprache halten. Und ich glaube, die Dos, die haben wir ganz gut jetzt schon mehrfach betont: Machen Sie ein Calprotectin, es hilft zumindest in den Altersgruppen nach dem Säuglings- und Kleinkindalter, weil es ein schneller Entscheidungsmarker ist, wie es weitergeht. Denken Sie an die Impfungen auch bei den Kindern, die noch keine CED haben, dass sie gut durchgeimpft sind, und denken Sie ans Vitamin D.

Axel Enninger: Super, Christoph, vielen herzlichen Dank für dieses informative Gespräch und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. Wir haben wie immer Informationen auch in den Shownotes verlinkt. Und wir freuen uns wie immer über Bewertungen mit Sternchen, mit Kommentaren, wie auch immer. Wir freuen uns auch über Vorschläge zu Themen und Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Vielen Dank fürs Zuhören und bleiben Sie uns gewogen.

 

 

Hilfreiche Informationen: (Erscheinen im Transkript)

Für Patienten:

Deutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e.V. https://www.dccv.de/

 

Weitere Links:

Die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) https://www.gpge.eu/

 

Leitlinien / Erkrankungsmanagement:

AWMF (2021) S3-Leitlinie Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms, Registernr. 021-016. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/021-016. Zuletzt besucht 5.7.2025.

AWMF (2023) S1-Leitlinie Bauchschmerz bei Kindern und Jugendlichen – Bildgebende Diagnostik, Registernr. 064-016. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/064-016.

Sturm A, Atreya R, Bettenworth D et al. (2024) Aktualisierte S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)(Version 4.1) – living guideline. Zeitschrift für Gastroenterologie 62(08) 1229–1318.

Kucharzik T, Dignass A, Atreya R et al (2024) Aktualisierte S3-Leitlinie Colitis ulcerosa (Version 6.2). Zeitschrift für Gastroenterologie 62(05) 769–858.

European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) https://ecco-ibd.eu/

European Society of Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition (ESPGHAN). https://www.espghan.org/knowledge-center/publications/Gastroenterology/2018_Management_of_Paediatric_Ulcerative_Colitis__Part_1, https://www.espghan.org/knowledge-center/publications/Gastroenterology/2018_Management_of_Paediatric_Ulcerative_Colitis_Part-2,

Van Rheenen PF, Aloi M, Assa A et al. (2021) The medical management of paediatric Crohn’s disease: an ECCO-ESPGHAN guideline update. Journal of Crohn’s and Colitis 15(2) 171–194.

Assa A, Aloi M, Van Biervliet S et al. (2025) Management of paediatric ulcerative colitis, part 2: acute severe colitis — An updated evidence-based consensus guideline from the European Society of Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition and the European Crohn’s and Colitis Organization. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1–36. doi:10.1002/jpn3.70096.

Turner D, Ruemmele FM, Orlanski-Meyer E et al. (2018) Management of Paediatric Ulcerative Colitis, Part 1: Ambulatory Care – An Evidence-based Guideline From European Crohn’s and Colitis Organization and European Society of Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition. J Pediatr Gastroenterol Nutr 67(2) 257–291. doi: 10.1097/MPG.0000000000002035. Erratum in: J Pediatr Gastroenterol Nutr 2020 71(6):794. doi: 10.1097/MPG.0000000000002967. PMID: 30044357.

https://www.dgvs.de/leitlinien/unterer-gi-trakt/morbus-crohn/ und https://www.dgvs.de/leitlinien/unterer-gi-trakt/colitis-ulcerosa/

Bischoff SC, Blumenstein I, In der Smitten S et al. (2024) Klinische Ernährung bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (S3-Leitlinie, herausgegeben von der DGEM. https://www.dgem.de/sites/default/files/PDFs/Leitlinien/S3-Leitlinien/DGEM%20Leitlinie%20CED%20Update_241028%20scb.pdf.

* Wagner N, Assmus F, Arendt G et al. (2019) Impfen bei Immundefizienz. Anwendungshinweise zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. (IV) Impfen bei Autoimmunkrankheiten, bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen und unter immunmodulatorischer Therapie. Bundesgesundheitsbl 62: 494–515. https://doi.org/10.1007/s00103-019-02905-1 https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00103-019-02905-1.pdf.

 

 

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