consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #60 - 27.06.2025
consilium – der Pädiatrie-Podcast
mit Dr. Axel Enninger
Lass dich ruhig nieder! Kinderarztpraxis – attraktives Arbeiten mit „Plus“
Axel Enninger: Mein Gast heute ist
Dr. Kristina Heyt
DR. AXEL ENNINGER…
… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis
Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Heute reden wir über ein nicht ganz medizinisch-inhaltliches Thema, sondern eher über ein organisatorisches Thema, denn das Thema heißt „Niederlassung als Kinder- und Jugendarzt“ und meine Gesprächspartnerin dazu ist Frau Dr. Kristina Heyt. Herzlich willkommen, liebe Tina.
Kristina Heyt: Vielen Dank, lieber Axel. Schön, dass ich heute da sein darf.
Axel Enninger: Du bist Expertin für dieses Thema, denn du bist als Kinder- und Jugendärztin niedergelassen. Und wie bist du denn dazu gekommen? Wie kam es dazu? Erzähl doch mal kurz deinen Werdegang.
Kristina Heyt: Ich habe, bevor ich mich vor ungefähr 5 Jahren niedergelassen habe, 10 Jahre meine Facharztausbildung im „Olgäle“, in der Kinderklinik in Stuttgart, gemacht. Dadurch kennen wir beide uns ja auch schon ganz gut. Ich habe in der Zeit zwei meiner drei Kinder bekommen und habe eigentlich schon früh die Liebe zur Intensivmedizin entdeckt. Habe dann da die Weiterbildung begonnen und hatte tatsächlich aber schon immer den Plan und den großen Wunsch, mich niederzulassen, nicht zuletzt deswegen, weil mein Papa auch niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in einer anderen Stadt war und er seine Begeisterung für die Arbeit eigentlich nie so richtig verbergen konnte. Und so habe ich dann nach fast 11 Jahren Olgahospital beschlossen, den Plan in die Tat umzusetzen.
Eigene Praxis statt Intensivmedizin im „Olgäle“
Axel Enninger: Das war für die Niedergelassenen in Stuttgart prima. Wir waren ein bisschen traurig, wir hätten dich gerne in der Intensivmedizin gehalten, aber gut, das war dann die Entscheidung. Und dann hast du Papas Praxis übernommen und dich ins gemachte Nest gesetzt, oder wie?
Kristina Heyt: Genau so war es tatsächlich nicht, denn für mich war es immer klar, dass die Wahl des Praxisstandortes unmittelbar von der Wahl des Lebensmittelpunktes abhängen musste – gerade mit Kindern und berufstätigem Mann – sodass ich mich ganz gezielt in einem der Stuttgarter Stadtteile umgesehen hatte und einfach so ein bisschen ausfindig gemacht hatte, was für Praxen da sind. Ich habe dann gezielt eine Kollegin, die in der Praxis tätig ist, im kinderärztlichen Notdienst angesprochen, ob sie nicht Interesse hätte, mich kennenzulernen. Sie war zugegebenermaßen zu Beginn etwas irritiert, hat dann aber doch beschlossen, dem nachzugehen. Ich habe dann über einzelne Vertretertage letztlich mit einer Anstellung dort begonnen, anderthalb Tage in der Woche, parallel zur Kliniktätigkeit. Ich habe dann in der Zeit das dritte Kind bekommen und dann, als wir uns einig waren, dass ich die Praxis übernehmen sollte, sind wir in Verhandlungen getreten. Sie hat den Praxissitz über die KV ausgeschrieben und ich habe ihn dann zugeteilt bekommen. Ich hatte das große Glück – im wahrsten Sinne des Wortes – dass meine Freundin und jetzige Praxispartnerin Cordula Glück parallel dazu auch einen Sitz erwerben konnte, an dem allerdings weder Räume noch Personal hingen. Sie konnte den dann als zweiten Sitz mit einbringen und wir sind daher jetzt seit fünf Jahren als BAG zusammen tätig.
Was wäre das Gesundheitswesen ohne Niedergelassene?
Axel Enninger: BAG, erklären wir gleich, habe ich gelernt, ist das neue Codewort für das, was früher unter dem Stichwort „Gemeinschaftspraxis“ lief. Darüber reden wir gleich. Aber es ist irgendwie komisch, oder? Du sprichst proaktiv eine niedergelassene Kollegin an, das ist ungewöhnlich, oder?
Kristina Heyt: Ich weiß es nicht genau. Ich glaube tatsächlich, dass die Niederlassung nicht mehr so richtig auf dem Schirm ist. Ich war jetzt natürlich so ein bisschen, ich sag mal „vorgepolt“ durch meinen Vater, aber ich habe das Gefühl, dass die Niederlassung als Option für viele Kolleginnen und Kollegen gar nicht mehr so sehr in Frage kommt. Ich denke, viele Mythen schweben über dem Thema Niederlassung. Damit möchte ich heute ein bisschen aufräumen. Es ist aber auch so, dass weiterhin, glaube ich, eine große Sorge vor der großen Verantwortung besteht, die vermeintlich dahinter steckt. Und dann ist es sicherlich so, dass natürlich im Rahmen der Facharztausbildung viele Stationen verpflichtend durchlaufen werden müssen innerhalb der Klinik. Aber eine Arbeit in der Praxis ist da nicht so richtig vorgesehen. Dadurch glaube ich, dass viele Kolleginnen und Kollegen die Arbeit in der Praxis nicht mehr auf dem Schirm haben und das ist eigentlich schade. Deswegen sitzen wir heute hier, denn die Niederlassung ist eigentlich ein großer Bestandteil der Basisversorgung in der Pädiatrie. Sie bietet ein ganz breites Spektrum an pädiatrischen Krankheitsbildern und ohne die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen hätten wir, glaube ich, übervolle Notaufnahmen, die Spezialambulanzen wären völlig überfüllt. Wir hätten lauter Kinder, die nicht mehr adäquat geimpft werden, was letztlich eine erhebliche Belastung des Gesundheitssystems darstellen würde. Und nicht nur das ist natürlich attraktiv an der Niederlassung, sondern sie ist lukrativ. Wir haben eine hohe Eigenverantwortlichkeit, können uns unsere Arbeitszeiten relativ flexibel einteilen und wir sehen ein ganz breites Spektrum an pädiatrischen Krankheitsbildern, was für uns natürlich attraktiv ist.
Angestellt oder selbständig in der Praxis
Axel Enninger: Wenn ich jetzt so die Generationen an Assistenzärztinnen und Assistenzärzten an mir vorüberziehen lasse, habe ich den Eindruck, dass viele sehr zufrieden sind, wenn sie im Angestelltenverhältnis in der Klinik, in festen Strukturen arbeiten, Arbeitszeiten haben, die zwar nicht immer super sind, aber vorgegeben. Du würdest aber trotzdem denken, auch sozusagen die Anforderungen der aktuell jüngeren Generation sind in der Praxis gut abzubilden?
Kristina Heyt: Das denke ich tatsächlich schon. Also, wir haben natürlich in der Niederlassung, um dem vorzugreifen, grundsätzlich zwei Optionen: Wir haben einmal die Möglichkeit, sich auch da in medizinischen Versorgungszentren oder größeren Gemeinschaftspraxen anstellen zu lassen, auch zu festen Arbeitszeiten und zu einem festen Gehalt, was ja dann im Grunde der Klinikarbeit entsprechen würde. Und wir haben natürlich auch die Möglichkeit, uns eben mit einem eigenen Kassenarztsitz im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung niederzulassen.
Übernahme, Neugründung und die Frage der Verfügbarkeit
Axel Enninger: Und jetzt stelle ich mir vor, dass man, wenn man es tut und sagt, das mache ich jetzt, man sich so einem gewissen Bürokratiemonster gegenüber sieht und einen Wust von Regularien, Formularen und sonstigen Dingen zu erfüllen hat. Wie war das denn bei dir?
Kristina Heyt: Grundsätzlich ist es sicherlich so, dass es initial ein hoher bürokratischer Aufwand ist. Und dazu kommt natürlich erschwerend, dass wir im betriebswirtschaftlichen Genre völlig fremd sind. Grundsätzlich ist es so, dass wir, um in der kassenärztlichen Versorgung tätig sein zu können, einen Kassenarztsitz übernehmen müssen. Das heißt, wir brauchen im Idealfall eine Praxis, die wir übernehmen wollen, die wir kennen, in der wir vielleicht vorher auch schon angestellt und tätig waren und dadurch die Praxisstrukturen kennen. Oder aber, wenn die Versorgungslage in einer Region schlecht ist und Kassenarztsitze quasi frei zur Verfügung sind, könnte man da einen Kassenarztsitz auch einfach bekommen, ohne ihn einer bestehenden Praxis abkaufen zu müssen und könnte sich dann niederlassen.
Axel Enninger: Wie ist denn die aktuelle Situation in Baden-Württemberg? Ich lese immer nur, ich überfliege das immer nur im Ärzteblatt, da steht immer „ausreichend versorgte Regionen“, „geschlossene Regionen“, „offene Regionen“. Wie ist denn das gerade? Hast du eine Ahnung?
Kristina Heyt: Es wechselt tatsächlich. Bis vor kurzem hätte ich noch gesagt, Region Stuttgart ist aktuell offen, das heißt, man kann sich beliebig niederlassen. Das hat sich aber vor kurzem erst wieder geändert, und sie gilt jetzt aktuell als geschlossen, obwohl eigentlich viele Praxen ohne Nachfolger bleiben. Das ist relativ komplex und nicht ganz einfach zu verstehen.
Axel Enninger: Okay, da bohren wir jetzt nicht nach, sonst könnte es irgendwie berufspolitisch schwierig werden. Aber, sagen wir mal so, die Berechnung ist kompliziert, die Berechnung der Sitze, die man braucht. Und dann ist auch manchmal die Verteilung der Sitze schwierig. Man kann sich nicht vorstellen, dass jeder Sitz immer mit einem 100 % arbeitenden Menschen besetzt ist und so kommt es, glaube ich, manchmal zu einer gewissen Diskrepanz zwischen vermeintlicher Versorgung, Überversorgung, ausreichender Versorgung und deutlich gefühlter Unterversorgung. Aber das ist jetzt nicht das Thema, sondern das Thema war: Ja, es gibt eine Möglichkeit, also man bewirbt sich bei der KV beziehungsweise man ist sich mit einer Praxisinhaberin einig, man sagt, ich möchte gerne deine Nachfolgerin werden. Und wie läuft es dann? Was macht man dann?
Beratung, Offizielles, den eigenen Plan entwickeln
Kristina Heyt: Es ist so, dass es sicherlich wichtig ist, dass man dann, wenn man die Praxis ein bisschen kennengelernt hat, sich betriebswirtschaftlich und auch über die KV finanziell beraten lässt. Denn das ist wirklich, wie gesagt, ein Thema, in dem wir nicht drinstecken, was wir nie gelernt haben. Das heißt, es braucht eine Beratung über die KV. Sie bietet ganz umfangreiche Beratungs- und Fortbildungsangebote an und begleitet einen da wirklich in der Niederlassung. Man braucht einen Steuerberater und einen Anwalt, um einen Praxisübernahmevertrag aufzusetzen. Und ich glaube, was ganz arg wichtig ist, ist, dass man sich gut vernetzt und vorher wirklich informiert, auch bei verschiedenen anderen Praxen vielleicht mal schnuppert und mitläuft, um einfach eine Idee zu haben, was ist eigentlich mein persönlicher Plan? Wie möchte ich persönlich arbeiten? Wieviel Arbeitszeit möchte ich investieren, wie soll mein Verdienst sein, wie ist meine persönliche Kapazität mit Familie etc.? Der Plan muss eigentlich stehen, bevor man überhaupt an die Niederlassung denkt. Das ist ja eigentlich das, worum es geht und was die Niederlassung ausmacht, dass man da eine hohe Flexibilität hat, wenn man einen klaren Plan hat.
Axel Enninger: Das heißt also, wenn ich es mir vorstelle, ist dein Rat an die Menschen, die jetzt im 4. oder 5. Ausbildungsjahr bei uns sind, zu sagen: In der Klinik bleiben, Spezialisierung machen, Oberarztkarriere anstreben wäre eins, Niederlassung wäre das andere. Mach doch mal eine Liste von Dingen, die dir wichtig sind. Wie willst du arbeiten? Wie wäre dein Vorgehen?
Warteliste der KV und Arztregister als erste formale Schritte
Kristina Heyt: Ich würde mir grundsätzlich überlegen, wie möchte ich arbeiten und vor allem wo möchte ich arbeiten. Dann würde ich nicht grundsätzlich einen der beiden Wege ausschließen, sondern mit beiden in Kontakt gehen, denn speziell die Niederlassung haben wir bis zu dem Zeitpunkt nicht als Berührungspunkt, wenn wir in der Klinik arbeiten. Ich würde mich dann als eine der bürokratischen Voraussetzungen für die Niederlassung bei der KV auf die Warteliste setzen lassen und beim Arztregister eintragen lassen. Das sind die beiden Dinge, die tatsächlich für die Bewerbung auf einen Praxissitz Voraussetzung sind. Es gibt bestimmte Kriterien, nach denen der Zulassungsausschuss die Sitze vergibt. Es ist gar nicht so sehr Kriterium, wie einig sich praxisabgebende Person und der Bewerber oder die Bewerberin sind. Es gibt vielmehr bestimmte Kriterien wie zum Beispiel Approbationsdauer oder Eheverhältnis des abgebenden und des übernehmenden Arztes oder der Ärztin. Diese fließen mit in die Kriterien ein, die der Zulassungsausschuss heranzieht, um die Praxis zu vergeben. Natürlich ist es auch so, dass, wenn wir in einem Verhältnis stehen, zum Beispiel über eine Anstellung, wo der abgebende Arzt weiß, die Praxis kommt in gute Hände, die Patienten kennen die Nachfolger oder die Nachfolgerin schon, dann kann er entsprechend Einfluss nehmen und den Weg bahnen, dass der Sitz auch der Person zugeteilt wird, in deren Händen man die Praxis gerne sehen würde.
Axel Enninger: Aber das heißt, nochmal, du hast es gerade gesagt, formal Arztregistereintragung und was war das Zweite?
Kristina Heyt: Auf die Warteliste bei der KV eintragen lassen. Und eine Facharztreife oder Facharzturkunde ist entscheidend. Die muss auch da sein.
Axel Enninger: Okay. Und dann sich informieren und sagen, okay, ich könnte es mir vorstellen. Wann brauche ich dann einen Anwalt und einen Vertrag? Erst wenn es konkret ist, oder?
Kristina Heyt: Genau, richtig, ja. Ich denke, erst einmal ist der Kontakt zum Praxisinhaber entscheidend. Dass man da mitarbeitet, mitläuft, sich vielleicht parallel zur Kliniktätigkeit anstellen lässt – das geht auch gut mal tageweise – und dort entlastet. Wenn man dann das Gefühl hat, das passt wirklich gut, ich kann mir Standort und Praxisteam und Patienten und alles gut vorstellen, dann geht es ans Konkrete.
Einen Praxissitz erhalten und den Anfang meistern
Axel Enninger: Und dann gibt es eine Ausschreibung und dann bewerbe ich mich darauf?
Kristina Heyt: Genau, richtig.
Axel Enninger: Bei der KV?
Kristina Heyt: Ja.
Axel Enninger: Okay. Und wie lange dauert der ganze Spaß?
Kristina Heyt: Also, es finden regelmäßig Zulassungsausschusssitzungen statt. Ich meine, es sei vierteljährlich. Dann werden die Praxen dort immer vorgestellt und der Zulassungsausschuss vergibt die Sitze an die entsprechenden Bewerber und Bewerberinnen.
Axel Enninger: Und bei euch hat es so geklappt wie ihr es euch vorgestellt habt?
Kristina Heyt: Ja, es hat genau so geklappt wie wir uns das vorgestellt haben.
Axel Enninger: Und dann kam das Glück in Form von Cordula Glück dazu, die aus einer anderen Ecke kam. Sie hat quasi einen KV-Sitz, einen „nackten“ KV-Sitz ohne Praxis bekommen?
Kristina Heyt: Ganz genau. Sie war vorher schon einige Zeit angestellt in verschiedenen Praxen und hatte da die Möglichkeit, ein bisschen zu schnuppern und ihre Erfahrungswerte zu sammeln und dann natürlich auch mit einzubringen, wusste sehr gut Bescheid, welche verschiedenen Praxismodelle es gibt. Da war es dann tatsächlich so, dass eine Praxis ohne Nachfolger geschlossen hatte, deren Sitz aber noch zur Verfügung stand. Den hat sie erworben und in unsere Praxis mit eingebracht.
Axel Enninger: Darf man sagen, was ein Sitz bei der KV kostet oder darf man das nicht sagen?
Kristina Heyt: Das kann man sicherlich sagen. Es schwankt aber ganz arg und hängt natürlich davon ab, wie die Lage der Praxis ist, wie sie ausgestattet ist und wie hoch der Praxisumsatz ist. Es ist ganz unterschiedlich, zwischen 80.000 und dann, wenn Spezialisierungen am Sitz hängen, bis 300.000 Euro pro Kassenarztsitz.
Axel Enninger: Auch ein purer Sitz ohne alles?
Kristina Heyt: Der kostet nichts.
Axel Enninger: Der kost nix.
Kristina Heyt: Außer Verwaltungsgebühr.
Axel Enninger: Ah ja, okay.
Kristina Heyt: Aber da ist es tatsächlich so, dass man dazu ja auch wiederum eine bestehende Praxis braucht – das heißt Räume, Struktur, Personal – oder den Sitz eben in eine Praxis mit einbringt, das geht natürlich auch.
Axel Enninger: Okay, also der pure KV-Sitz kostet quasi nichts außer Verwaltungsgebühren, und das andere ist das, was man an den Abgebenden bezahlt?
Kristina Heyt: Genau, da kauft man die Praxis als schon bestehende Struktur mit entsprechenden Einnahmen.
Axel Enninger: Okay, dann habt ihr zwei das gemacht. Und dann kam das böse Erwachen oder war alles super?
Kristina Heyt: Also bisher kann ich mich nicht beschweren. Natürlich braucht es am Anfang etwas, um die Strukturen, die man sich vorstellt, zu etablieren. Wir haben sicherlich viel geändert zu Beginn: Praxissoftware, wir haben ganz viel umstrukturiert, wir haben unser Personal weitergebildet und ausgebildet. Ich würde mal behaupten, das erste halbe Jahr war anstrengend, und danach bis heute läuft es hervorragend.
Gute Vorplanung: Kapazität, Personal, Fortbildung, welche Medizin?
Axel Enninger: Und was hat dir geholfen in dieser „Anstrengungsphase“, bzw. was war dein Learning daraus? Wo würdest du sagen, das war wirklich gut, das war eine gute Entscheidung oder: ‚Da haben wir ein bisschen danebengegriffen‘?
Kristina Heyt: Ich glaube, eine sehr gute Entscheidung war, sich vorher zu zweit hinzusetzen und einen Plan zu machen. Wirklich zu überlegen, wie viel Kapazität möchte ich in meiner Praxis verbringen? Wie viel Zeit möchte ich bürokratisch tätig sein? Wie möchte ich unser Personal anleiten und welche Medizin möchten wir machen? Das ist sicherlich ganz, ganz arg wichtig, dass man sich da – gerade in der Gemeinschaftspraxis – zu zweit zusammentut und einen klaren Plan macht. Was uns auch geholfen hat, sind Fortbildungen. Wir haben uns viel fortgebildet und vor allem auch mit Kollegen und Kolleginnen, die wir schon von der Kliniktätigkeit kannten und die auch niedergelassen sind, einfach noch mal ausgetauscht, wie wer abrechnet, was wichtig ist, was es für Kniffe gibt, die man beachten und wissen muss. Ich glaube, das hat uns wirklich gut geholfen.
„Praxis-IT“ und Co.
Axel Enninger: IT war ein Problem oder nicht? Man liest immer, Praxis-IT wäre schwierig und die Anbindung und alles Mögliche. Oder war das okay?
Kristina Heyt: Gelernt hatten wir das bis dato nicht, aber auch da ist es ja so, dass wir mit einem IT-Haus oder einem Softwareunternehmer zusammenarbeiten, der ja viele Schulungen anbietet. Erstens hat er das ganze Team geschult und zweitens speziell unsere Software. Aber andere sicherlich auch, die Möglichkeit, dass ganz viel automatisiert und auch selbst programmiert werden kann, wirklich einfach, ohne dass ich jetzt IT-Spezialist bin. Das haben wir dann genutzt und dadurch sehr, sehr viel selbst machen können. Aber für Themen wie Homepage oder kniffligere IT-Themen, da braucht es IT-Berater in der Praxis, das ist ganz klar.
Axel Enninger: Habt ihr umgebaut?
Kristina Heyt: Wir haben nicht viel umgebaut, haben ein paar Dinge geändert, aber haben natürlich hohe Anschaffungskosten gehabt in Form von anderen Computern. Technisch haben wir ein bisschen was erneuert und haben zum Beispiel ein Ultraschallgerät angeschafft. Das waren eigentlich die wichtigsten Anschaffungen.
Praxismodell in der Umsetzung
Axel Enninger: Und jetzt läuft es wie? Wie ist jetzt euer Modell im wahren Leben?
Kristina Heyt: Grundvoraussetzung – vielleicht, um das vorwegzunehmen – für die Arbeit auf einem vollen Kassenarztsitz ist, dass man 25 Arbeitsstunden in der Woche arbeitet. Das ist der Versorgungsumfang für einen Kassenarztsitz. Es ist auch hälftig oder anteilig möglich, aber ein voller sind 25 Arbeitsstunden in der Woche. Wir sind auch verpflichtet, für die Praxis nicht mehr als 90 Vertretertage im Jahr Urlaub, Fortbildung, Schließtage zu nehmen, vorausgesetzt, es findet sich für die Zeit auch ein Vertreter, der die Praxis vertritt. Wir bei uns machen es so: Wir arbeiten jede ca. 30 Stunden in der Woche Anwesenheit in der Praxis. Innerhalb dieser 30 Stunden, würde ich behaupten, ist der größte Teil des bürokratischen Geschehens erledigt. Ab und an kann es sein, dass wir unter der Woche mal abends oder am Wochenende noch eine halbe Stunde dranhängen. Das hängt so ein bisschen davon ab, wie der aktuelle Aufwand ist, ob irgendwelche Neuerungen anstehen, irgendwelche Merkblätter überarbeitet werden müssen. Es schwankt ein bisschen, aber es ist sicherlich nicht mehr. Dann ist es so, dass wir innerhalb dieser Vorgaben, die ich eben genannt hatte, eigentlich relativ frei entscheiden können, wie wir uns aufteilen. Wir machen es aktuell so, dass wir wechselweise entweder zu zweit oder alleine da sind, zum Beispiel vormittags zu zweit und nachmittags alleine, auch mal freie Tage haben und uns da relativ flexibel einteilen können.
Axel Enninger: Okay, noch mal, dass ich es richtig verstanden habe: Du würdest sagen, 35 Stunden pro Woche arbeitet ihr. Inklusive aller bürokratischen Geschichten, Abrechnungen, was man sonst noch so macht.
Qualifizierung des Fachpersonals lohnt sich gleich mehrfach
Kristina Heyt: Genau, 30 sind es eigentlich. Ja, genau. Und was den medizinischen Inhalt angeht, haben wir im Großen und Ganzen zwei große Aufgabenbereiche, um die wir uns kümmern. Wir sind einmal präventiv tätig. Das sind die Vorsorgeuntersuchungen, Beratungsleistungen, Impfungen. Und da gibt es natürlich die kranken Kinder, die sowohl akut krank sind als auch alle chronischen pädiatrischen Krankheitsbilder mit sich bringen, wie man es eigentlich auch aus der Klinik kennt. Da ist sicherlich jede Praxis unterschiedlich eingeteilt oder aufgestellt. Wir machen es so, dass wir unsere Vorsorgeuntersuchungen und Beratungstätigkeiten am Vormittag machen und am Ende der Sprechzeit dann quasi eine Stunde für die akut kranken, infektiösen Patienten einplanen und das Gleiche am Nachmittag auch. In unserem Fall ist es so, dass wir großen Wert darauf gelegt haben, dass unser Personal breit ausgebildet und aufgestellt ist, so dass sie wirklich über Ausbildungen zum Beispiel zu Präventions-Assistentinnen oder sozialpädiatrischen Assistentinnen, wahnsinnig viel Beratungsarbeit übernehmen können. Das heißt alle Beratungen zu Ernährung, Schlafregulation, Konzentration, Medien etc. machen alle unsere Fachkräfte. Und ebenso sind alle zu Impfexpertinnen ausgebildet, so dass wir quasi alle Impfungen nach einmaliger Aufklärung delegieren können.
Axel Enninger: Erkläre das doch noch einmal kurz für einen, der noch nie in der Praxis außer an einzelnen Tagen war. Das ist okay, also man darf seine MFA qualifizieren zur – wie heißt das? Impf…?
Kristina Heyt: „Impfexpertin“.
Axel Enninger: Expertin. Und dann darf sie was selbstständig?
Kristina Heyt: Sie darf alle Impfungen durchführen am Patienten ohne Arztkontakt, wenn ich sie einmalig vor jeder Grundimmunisierung aufgeklärt habe. Und natürlich muss die Impfindikation stimmen.
Axel Enninger: Okay, das überprüfst du, aber dann machen das quasi die MFAs.
Kristina Heyt: Genau.
Axel Enninger: Okay. Es war vor über 30 Jahren, als ich noch Facharztausbildung machte und wir ab und zu Praxisvertretung machen sollten – das war damals bei uns so vorgesehen, erinnere ich noch sehr genau. Ich machte zum ersten Mal Praxisvertretung und wollte selber impfen und die damalige – damals hieß es „Arzthelferin“ – sagte: ‚Wollen Sie selber impfen?‘ Da war es auch so, aber da gab es sicher die formalisierte Ausbildung noch nicht.
Kristina Heyt: Also, tatsächlich ist es so, dass wir in unserem Sprechstundenkalender eine Spalte haben, die nur für die MFAs vorgesehen ist. Das heißt, sie haben wirklich eigene Termine. Der ist komplett voll, und da machen sie alle oben genannten Beratungen, alle Impfungen, Blutentnahmen komplett eigenständig. Das sorgt natürlich nicht nur für eine hohe Wertschätzung seitens der Patienten gegenüber der MFA, sondern es führt darüber natürlich auch zu einer hohen Arbeitsmotivation. Wenn sie eine hohe Eigenverantwortung haben, dann ist die Motivation größer. Das Miteinander wird dadurch gut. Und es ist natürlich auch eine hohe Einsatzbereitschaft des Personals, wenn es dann mal zu Belastungsspitzen kommt.
Axel Enninger: Okay, spannend. Es war mir nicht klar, dass das alles – Anführungszeichen – „erlaubt“ – Anführungszeichen – ist, wenn man sein Personal gut qualifiziert.
Kristina Heyt: Ganz genau. Es gibt ganz viele delegierbare Leistungen und vielleicht noch viel wichtiger als die, die ich gerade genannt hatte, jetzt aus Sicht der Mediziner, ist, dass wir eigentlich alles Bürokratische delegieren dürfen. Wir haben auch in unserer Praxis eine Fachkraft für Qualitätsmanagement, eine Hygienefachkraft, eine Abrechnungsfachkraft. Am Ende des Tages machen sie wirklich fast alles.
Axel Enninger: Okay, jetzt ist meine Vorstellung, ihr habt eine Praxis, ihr habt ein Otoskop und ein Stethoskop um den Hals. Habt ihr noch mehr?
Kristina Heyt: Wir machen Hörtests und Sehtest im Rahmen der Vorsorge. Unsere sozialpädiatrische Assistentin macht auch standardisierte Entwicklungstests. Wir haben ein Basislabor in Form von Blutbild, Blutzucker, machen Urindiagnostik, Urinkulturen und sonographieren.
Axel Enninger: Okay. Das heißt, da bist du auch zufrieden. Da hast du nicht das Gefühl, dass du dich irgendwie beschnitten fühlst in der Diagnostik, die dir zur Verfügung steht? Ich meine, immerhin hast du eine Ausbildung an Deutschlands größtem, schönstem, tollstem Kinderkrankenhaus gemacht. Du hast Intensivmedizin gemacht, fühlst dich nicht beschnitten?
Kristina Heyt: Ich denke, dadurch, dass man sich ja so ein bisschen „die Hörner abstoßen kann“ in der Zeit davor, überwiegt jetzt hier die Möglichkeit, so viel eigenverantwortlich tätig zu sein. Das finde ich enorm wertschätzend, muss ich sagen. Das wiegt es gut auf!
Die Abrechnung: eine Menge ist Mythos
Axel Enninger: Okay. Und wenn ihr arbeitet und offensichtlich gut strukturiert arbeitet und auch in einem Zeitaufwand, den du okay findest, dann wollt ihr auch Geld haben. Wie kommt ihr denn zu eurem Geld?
Kristina Heyt: Die Abrechnung, das ist ja so ein Mythos, der immer noch über der Niederlassung schwebt und sich hartnäckig hält. Früher saß man da wochenendweise, stundenlang. Das ist tatsächlich alles passé. Wir kommen grundsätzlich über drei verschiedene Wege an unser Geld. Wir haben Kassenpatienten. Deren Leistungen sind in einem sogenannten EBM-Katalog festgehalten, das ist der „einheitliche Bewertungsmaßstab“. Das sind alle Leistungen, die wir gegenüber Kassenpatienten erbringen können. Als Ziffer, einer fünfstellige Zahl, festgehalten und der Ziffer ist jeweils ein entsprechender Geldwert in Form von Punkten zugeordnet. Bei uns in der Praxis ist es so, und ich glaube, es funktioniert bei allen Praxen gut über die Software, die es inzwischen gibt, dass, wenn der Patient sich vorne zu einem bestimmten Termin anmeldet, zum Beispiel zur Vorsorge U9, da wird dem gleich vorne an der Anmeldung beim Kartestecken am Computer eine Aufgabe zugeteilt, und die Aufgabe ist mit einer Abrechnungsziffer verknüpft, so dass die Vorsorge schon beim Erscheinen des Patienten in der Praxis abgerechnet ist. Alle anderen Leistungen, die nicht automatisiert übernommen werden, geben wir händisch ein, sobald diese erbracht sind. Das heißt, ich spreche über Sozialpädiatrie, Schulprobleme etc. beim Kind und rechne parallel dazu die Ziffer ab. Die MFA macht den Blutzucker, rechnet parallel dazu die Ziffer ab. Am Ende des Tages ist ohne zusätzliche Bürokratie alles abgerechnet, was wir brauchen. Sicherheitshalber gucken wir trotzdem abends einmal über die Tagesliste, gucken, ob alle Ziffern drin sind und am Ende des Quartals verschicken wir die Abrechnung mit genau einem Klick. Das heißt, es kostet jeden Tag zehn Minuten und am Ende des Quartals einen Klick. Die ganzen Leistungen werden an die KV übermittelt und werden uns dann monatsweise als Abschlagszahlung ausgezahlt und dann immer ein halbes Jahr später alle darüber hinaus erbrachten Leistungen auch als Zusatzzahlung. In der privaten Versicherung ist es ähnlich. Auch da ist es so, dass jede Leistung einer Ziffer zugeordnet ist und dass wir bei jedem Patienten eine Ziffer abrechnen für die Leistung, die wir erbringen. Da verschickt unsere Abrechnungsfachkraft alle zwei Wochen die Rechnungen an unsere Verrechnungsstelle, die wiederum an den Patienten verschickt werden und dann bekommen wir von den Patienten das Geld. Dann gibt es noch Selektivleistungen über einzelne Kassen. Ich glaube, das ist etwas, das jetzt hier den Rahmen sprengt. Aber das sind so die groben Wege.
Axel Enninger: Abrechnungshorror – da stelle ich mir vor, wie früher Menschen zu Hause saßen mit tausend Scheinen… das ist alles „over“, das macht man alles mit Nummern und du würdest sagen, dieser Aufwand ist tatsächlich überschaubar?
Kristina Heyt: Ja, der ist überschaubar. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich initial fortbildet, auch über die KV, dass man einfach weiß, welche Ziffern es gibt, was kann ich wann abrechnen? Da gibt zum Beispiel auch über den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte wirklich tolle Fortbildungen. Das ist sicherlich sinnvoll, dass man sich da informiert. Und wenn man da eine Ahnung hat, läuft es wirklich im Alltagsgeschehen automatisch.
Mitarbeitende finden und halten in Zeiten des Personalmangels
Axel Enninger: Okay. Ein anderes Thema, was ja sowohl die Niederlassung als auch die Kliniken anbelangt, ist Personal, bei uns vor allem Kinderkrankenschwestern. Man hört immer wieder vom großen Mangel an MFAs. Wie viele seid ihr denn und wie ist es denn bei euch mit dem Personalmangel?
Kristina Heyt: Wir sind insgesamt zwei Ärztinnen, dann haben wir sechs Teilzeit-MFAs und eine Auszubildende, die jetzt im September übernommen wird und dann noch eine Reinigungskraft. Und sicherlich ist es so, dass Personal gerade einfach schwierig zu finden ist. Das mag ich gar nicht schönreden. Und es ist so wie in anderen Arbeitsbereichen, dass die Arbeit am Menschen weiterhin schlecht bezahlt ist und nicht mehr so in ist. Ich glaube, das ist schon auch der Grund. Ich denke, dass wir viel Glück hatten. Wir haben ganz tolles Personal. Wir hatten zur Suche initial auch Werbung in Berufsschulen gemacht. Wir hatten über verschiedene Berufsplattformen Ausschreibungen gemacht. Ich glaube, wichtig ist tatsächlich auch, dass man eine gute Homepage hat. Sicherlich die erste Sache, über die gesucht wird, ist immer die Homepage und da ist es wichtig, dass man da einen guten Auftritt hat. Und ich glaube, noch viel entscheidender ist, gerade wenn Bewerber in die Praxis kommen, dass einfach gesehen wird, dass da Arbeit auf Augenhöhe stattfindet und dass es eben ein Team ist, das miteinander auftritt. Dass die Bewerber sehen, dass die Mitarbeiterinnen eine hohe Eigenverantwortung haben und wirklich viel machen können, nicht nur vorne Karte stecken. Und dass eine gute Stimmung herrscht. Das ist natürlich die beste Außenwirkung.
Axel Enninger: Das heißt, ihr habt jetzt eigentlich kein Thema mit viel Fluktuation?
Kristina Heyt: Bisher tatsächlich nicht.
Axel Enninger: Okay. Frau Glück und du, ihr beschäftigt ja jetzt Personal. Das heißt, jetzt muss auch die Kohle irgendwie reinkommen. Ist das ein Druck?
Kristina Heyt: Also Druck ist es tatsächlich nicht. Wir haben ein hohes Verantwortungsgefühl gegenüber unserem Personal und auch natürlich gegenüber den Patienten. Sonst würde das ja bedeuten, dass es uns egal ist. Einen richtigen Druck haben wir nicht. Ich finde, dass die Arbeit, die wir machen, lukrativ ist. Wir verdienen gut Geld, um unsere Mitarbeiter bezahlen zu können. Ich glaube, dass das anders aussieht, wenn man als Arzt alleine tätig ist. Denn da ist natürlich die Sorge groß, dass, wenn man ausfällt, die Praxis stillsteht. Uns ist es wichtig, dass unser Personal gut bezahlt ist, denn das ist auch eine Form von Wertschätzung, die wir ihnen entgegenbringen.
Axel Enninger: Das heißt, da gibt es einen Tarifvertrag und ihr zahlt ein bisschen mehr als der Tarifvertrag oder leistungsabhängig oder wie macht man das?
Kristina Heyt: Genau. Wir zahlen nach Tarifvertrag und jede Zusatzausbildung wird nochmal separat vergütet plus zusätzliche Auszahlungen oder Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Gutscheine. Das kann immer noch on top ausgezahlt werden.
Axel Enninger: Jetzt hast du erzählt, diese Betriebswirtschaftsgeschichten, Orga-Sachen usw. lernt man bei der KV, bei Fortbildungen. Der zweite wichtige Punkt ist ja gerade der Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich sage mal, da seid ihr sehr vergleichbar wie in der Situation eines leitenden Arztes. Auch da ist es so, dass wir es gar nicht lernen, sondern man muss es sich selber beibringen oder man geht zum Coaching. Wie habt ihr das gemacht?
Kristina Heyt: Also, es gibt sicherlich viele Fortbildungen und gute Coachings, wo man lernt, wie man Mitarbeiter führt. Das haben wir beide nicht gemacht. Ich glaube, vieles ist auch Intuition und einfach eine Frage der Persönlichkeit. Grundsätzlich sollten sich die Ärzte einer Praxis einig sein in dem, was sie tun. Das ist ganz wichtig für die Personalführung. Und man braucht sicherlich ein gutes Konzept und eine klare Linie, so wie in allen Mitarbeiterkonstrukten, die es so im Leben gibt oder auch in Familien. Wenn da eine Person zielstrebig vorangeht und vertrauensvoll alle hinterherzieht, ich glaube, dann ist das eine gute Basis für eine gute Mitarbeiterführung. Wichtig ist natürlich auch, dass man immer ein offenes Ohr hat, dass man Fragen ernstnimmt. Und wir machen es so, dass wir einmal im Monat Teambesprechungen abhalten, in denen alle Fragen oder Unklarheiten geklärt werden können. Dass wir einmal im Jahr Personalgespräche machen, in denen auch geprüft wird, ob es irgendwelche Verbesserungsmöglichkeiten gibt oder zusätzliche Weiterbildungen möglich sind. Und dass wir uns wirklich immer Zeit nehmen, wenn Fragen sind oder Sorgen.
Axel Enninger: Hm, okay. Und auch da tickt ihr sozusagen gleich. Das ist ja auch immer wichtig.
Kristina Heyt: Da ticken wir tatsächlich gleich. Ja.
Einzelpraxis, BAG und Praxisgemeinschaft
Axel Enninger: Okay. Ja, spannend. Je größer ein Konstrukt, um so einiger muss man sich sein. Okay. Es scheint so zu sein, das hast du vorhin schon in einem kleinen Nebensatz gesagt, dass es vielleicht schwieriger ist, wenn man alleine arbeitet. Man hat den Eindruck, so wie es früher war – es gibt Einzelpraxen und die Gemeinschaftspraxis war quasi die Ausnahme – dass dieser Trend gar nicht mehr besteht. Siehst du noch eine Zukunft für Einzelpraxen?
Kristina Heyt: Es ist sicherlich auch eine Frage der individuellen Arbeitsvorstellung, aber ich denke schon, dass vor allem jetzt – das wirst du bestätigen können – wo die Teilzeitarbeit so in ist, auch bei den Ärztinnen und Ärzten, dass da die BAG eigentlich schon der Schlüssel zum richtigen Weg ist. Wir haben ja grundsätzlich, wenn wir einen Praxissitz übernehmen, die Möglichkeit, entweder alleine zu arbeiten oder uns zusammenzutun. In der Einzelpraxis ist der große Vorteil natürlich, dass man Dinge einfach alleine entscheiden kann, von der Farbe des Wartezimmers bis hin zu Personalthemen, medizinischen Themen. Man hat die alleinige Verantwortung, man wirtschaftet in die eigene Tasche. Das ist natürlich auch ein großer Punkt. Man kann im Grunde im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben tun und lassen, was man möchte. Aber man trägt natürlich auch das finanzielle und wirtschaftliche Risiko alleine und kann sich in medizinischen oder Personalthemen überhaupt nicht absprechen. Und das Risiko des Ausfalls ist natürlich ein anderes, als wenn man zu zweit ist. In der BAG, der „Berufsausübungsgemeinschaft“, früher „Gemeinschaftspraxis“, da ist es so, dass sich mehrere Ärzte zusammentun und auch gegenüber der KV, den Patienten, dem Personal als eine Praxis auftreten. Das heißt, wir haben geteilte Einnahmen, die wir erwirtschaften. Wir sind zu zweit anteilig gleich dem Personal gegenüber verantwortlich. Und es ist da wichtig – das ist vielleicht der Knackpunkt – dass man natürlich eine Vielzahl zu regelnder Sachverhalte hat. Man muss Eigentumsverhältnisse, wirtschaftliche Themen, finanzielle Themen regeln, die müssen alle klar sein. Da ist es unabdingbar, dass man sich vorher wirklich offen zusammensetzt und überlegt, welche Medizin möchte ich machen, wie möchte ich mich von der Arbeitszeit einteilen und dass man einen anwaltlich aufgesetzten, guten BAG-Vertrag hat, wo auch zum Beispiel mögliches Ausscheiden eines BAG-Partners festgelegt ist, so dass man da nicht irgendwann in die Situation kommt, vor einer Situation zu stehen, die nicht geklärt ist. Andererseits wiederum ist es möglich, dass man sich in allen möglichen Bereichen auch gut abspricht. Also in Bezug auf Personalplanung, medizinische Themen, dass man sich mal zusammensetzt und gemeinsam grübelt und dass man natürlich auch die Kosten auf mehrere Schultern verteilt. Es macht natürlich wahnsinnig Spaß, wenn man einen Gleichgesinnten hat, der auch mit am Patienten ist.
Axel Enninger: Früher gab es den Unterschied zwischen Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft. Gibt es das noch oder ist das alles BAG?
Kristina Heyt: Nein, das sind zwei verschiedene Sachen. Die Praxisgemeinschaft, das ist ein Zusammenschluss von verschiedenen, auch teils fachfremden Praxen, die nicht gemeinsam abrechnen und auch keinen gemeinsamen Patientenstamm haben, sondern nur Infrastrukturen gemeinsam nutzen, wie zum Beispiel Räume oder apparative Diagnostik.
Und wenn es auseinander geht?
Axel Enninger: Okay, das habe ich jetzt auch halbwegs kapiert. Jetzt hast du gesagt, man muss sich gut absprechen und gute Verträge machen usw. Man hört ja doch immer wieder, in Praxis Soundso trennen sie sich, und man hört immer, der häufigste Trennungsgrund ist Geld. Meine Vorstellung ist, das ist wahrscheinlich komplizierter als eine Ehescheidung, oder?
Kristina Heyt: Das ist definitiv komplizierter als eine Ehescheidung. Ich habe das ja zum Glück nicht durchmachen müssen, weder das eine noch das andere, aber zumindest die Arbeit oder die Zusammenarbeit mit der Praxispartnerin, die umfasst so viele Bereiche, dass ich immer sage, es ist eigentlich tatsächlich komplexer als eine Ehe. Wir sind ja finanziell eng verknüpft, wir haben eine hohe Personalverantwortung und medizinische Themen, die wir alle miteinander teilen. Das heißt, das muss schon auf eine langfristige Tätigkeit angelegt sein.
Medizinisch up to date bleiben
Axel Enninger: Kommen wir noch mal zurück zum Thema. Das hast du auch vorhin einmal kurz angedeutet. Es ist gut, wenn man jemand Zweites hat, mit dem man sich auch medizinisch einmal austauschen kann. Auch das stelle ich mir nicht so ganz einfach vor. Man kocht in der Praxis ein bisschen, sage ich mal, im eigenen Saft, und in der Klinik wird man ja doch täglich mehrfach „gechallenged“. Ist das wirklich richtig, ist das nicht richtig? Auch die Rolle des leitenden Arztes hat sich ja völlig gewandelt, was ich sehr, sehr begrüße, wunderbar! Wir leitenden Ärzte sind nicht allwissend, sondern ich freue mich, dass ich nach über 30 Jahren Berufserfahrung jede Woche ein Kind sehe, von dessen Erkrankung ich noch nie gehört habe. Es ist natürlich toll, voneinander lernen zu können. Das, stelle ich mir vor, fehlt in der Praxis. Wie macht ihr das?
Kristina Heyt: Gut. Ich glaube, wichtig ist, dass jeder – und das muss tatsächlich jeder für sich selber machen – dass man immer up to date ist, über Fortbildungen, über Seminare, Kongresse. Das machen wir tatsächlich sehr viel. Bei uns ist es so, dass ich zusammen mit dem Kollegen ja noch als Sprecherin der Kinder- und Jugendärzte Stuttgarts fungiere und dass wir wirklich alle aktuellen Informationen, Neuigkeiten, neue STIKO-Empfehlungen, Antibiotic Stewardship und was da alles auf uns einprasselt, immer über unsere Qualitätszirkel, die wir einmal im Vierteljahr halten, an alle Niedergelassenen weiterleiten. Und dass wir auch aktuelle Informationen immer per Mail verteilen an alle niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, so dass da schon die Möglichkeit ist, wirklich up to date zu bleiben. Wir haben netterweise auch eine tolle Kooperation mit dem Olgäle. Über Webinare werden immer wieder einzelne Krankheitsbilder aktualisiert. Wir haben Stammtische, die wir abhalten und es ist, glaube ich, wichtig, dass man zum Beispiel beim BVKJ [Berufliche Interessenvertretung der Kinder- und Jugendärzt*innen in Deutschland e. V.] Mitglied ist und darüber auch viele Fortbildungen abhält, da Gleichgesinnte trifft, mit denen man sich austauscht. Ich glaube, wichtig ist grundsätzlich einfach eine gute Vernetzung.
Axel Enninger: Wenn man sich alles so anhört, würde man jetzt denken – und ich glaube, dass viele Zuhörerinnen und Zuhörer das auch denken – irgendwie bist du ganz zufrieden mit deiner Entscheidung, oder?
Kristina Heyt: Ich bin sehr zufrieden. Tatsächlich. Ich denke, die Niederlassung, die bietet wirklich eine tolle Work-Life-Balance. Wir haben nicht nur einen guten Verdienst, sondern wir haben auch wirklich die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu arbeiten und eine Medizin zu machen, die wirklich ein ganz breites pädiatrisches Spektrum umfasst und damit dann auch einen guten Beitrag leistet zur pädiatrischen Grundversorgung. Es gibt immer wieder Belastungsphasen, die schwerer sind, oder Belastungsspitzen, aber die lassen sich natürlich deutlich besser aushalten, wenn man weiß, es ist für den eigenen Laden und es ist eine hohe intrinsische Motivation, die dahintersteckt. Wir sind immer auf dem aktuellen Stand und es macht natürlich wahnsinnig Spaß.
Axel Enninger: Okay, wenn du unseren Podcast schon mal gehört hast, weißt du, dass es ein traditionelles Dauerelement gibt und das heißt Dos & Don’ts. Dinge, die du unbedingt positiv loswerden möchtest und auch Dinge, wo du sagen würdest: ‚Lass das besser mal sein.‘ Du darfst selber entscheiden, wobei mein Rat ist, fang mit den Don’ts an, Es ist immer netter mit Dos aufzuhören.
Keine Angst, Kontakt, nicht abtun, den eigenen Weg gehen und – einfach machen!
Kristina Heyt: Genau. Meine Don’ts sind ganz klar: Don’t be afraid. Habt keine Angst vor der Niederlassung! Es ist wirklich machbar und es ist wirklich für alle möglich. Zögert auch nicht in Kontakt zu gehen mit anderen Niedergelassenen oder Gleichgesinnten, bevor ihr sagt: ‚Niederlassung ist nichts für mich.‘ Und vor allem, tut es nicht als „Wald- und Wiesenmedizin“ ab, denn wir haben wirklich ein ganz, ganz breites Spektrum im medizinischen Bereich und stellen eigentlich die Basisversorgung der Pädiatrie dar. Und meine Dos: Traut euch in Kontakt zu gehen, euch zu vernetzen, sprecht miteinander und den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und schnuppert in den Praxen, um euch ein Bild zu machen. Ganz wichtig ist tatsächlich auch für die, die sich vielleicht gerade erst niedergelassen haben: Traut euch, eure medizinischen Vorstellungen umzusetzen und genau die Medizin zu machen, die ihr machen möchtet. Traut euch, eure Wege zu gehen und euch so einzuteilen, wie ihr schon immer arbeiten wolltet, denn dafür bietet die Niederlassung wirklich eine einmalige Gelegenheit. Und mein letztes Do ist ganz kurz: Do it! Lasst euch nieder, denn es macht unglaublich viel Spaß!
Axel Enninger: Okay, sehr schön. Ein sehr konkretes Fazit. Just do it, sehr gut. Tina, vielen Dank. Das hat viel Spaß gemacht und ich hoffe, Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, fanden es anregend und hilfreich. Und auch zu diesem Thema wird es ein paar Shownotes und Literaturhinweise und Verweise auf Internetseiten geben. Und wie immer freuen wir uns über Rückmeldungen. Wir freuen uns über Likes auf den üblichen Plattformen und auch über Anregungen für weitere Themen und für weitere GesprächspartnerInnen. Vielen Dank fürs Zuhören, und bleiben Sie uns gewogen!
Hilfreiche Informationen:
Hinweise zu Praxisgründung und Abrechnung u. v. m.:
KV-Links für Baden-Württemberg: www.kvbawue.de
Förderprogramm des Landes Baden-Württemberg: https://www.kvbawue.de/ueber-uns/engagement/zuz-ziel-und-zukunft
Breites hochkarätiges Wissen rund um die Pädiatrie mit Seminaren: www.akademie-muenchen.de
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V.: www.bvkj.de
Fortbildungen zu Abrechnungen und Workshop „Freischwimmer“ (z. B. 05./06. Juli 2025, Nürnberg) Tipps für Ärzt*innen in der Start – und Lernphase der Niederlassung, angestellte Ärzt*innen, die sich über Organisation, Abrechnung und Wirtschaftlichkeit einer Praxis informieren wollen: www.bvkj.de/fortbildungen
Motivationsworkshop „Sprung in die Praxis“, 18./19.10.2025 Berlin, Dr. Steffen Lüder: https://www.bvkj.de/fortbildungen/veranstaltung/motivationsworkshop-sprung-in-die-praxis/
www.lass-dich-nieder.de
Homepage der Kinderarztpraxis von Kristina Heyt und Cordula Glück:
https://www.kinderpraxis-stuttgart.de/
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Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Markus Rudolph
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Ihr Team von InfectoPharm